Böhmermanns Schmähgedicht
Besonders kontrovers diskutiert wurde seit 2016 ein Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann, das sich an den türkischen Präsidenten richtete. Dieser hatte zuvor mit drastischen Mitteln auf einen satirischen Beitrag der Sendung „extra3“ der ARD reagiert. Dabei handelte es sich um ein spöttisches Lied, das von der Meinungsfreiheit gedeckt war. Böhmermann nahm dies in seinem „Neo Magazin Royale“ zum Anlass für sein Gedicht. Dieses solle, so leitete er den Beitrag ein, dem türkischen Staatspräsidenten verdeutlichen, was man in Deutschland wirklich nicht sagen dürfte.
Es folgte – vor dem Hintergrund einer türkischen Flagge - eine demonstrativ niederschwellige Aneinanderreihung von Verunglimpfungen. Quasi jeder Vers des Gedichts enthielt mindestens eine Herabwürdigung. Präsident Erdogan erstattete Strafanzeige und klagte zivilrechtlich vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung. War all dies Schmähkritik?
Nein, stellte der zuständige Staatsanwalt fest und stellte das Verfahren ein (OLG Koblenz, Einstellungsentscheidung v. 13.10.2016 - 4 ZS 831/16). „Der Darbietung [sei] bei der gebotenen Berücksichtigung aller Gesamtumstände ein sachlicher Bezug zu der seinerzeit öffentlich diskutierten Frage des Umgangs mit der Presse-, Meinungs-bzw. Kunstfreiheit durch den türkischen Staatspräsidenten nicht abzusprechen[…].
Das Landgericht Hamburg stufte das Gedicht offenbar als Kunst und „Meinung“ ein, also auch nicht als Schmähkritik (LG Hamburg, 10.2.2017 -324 O 402/16). Dennoch untersagte das Gericht es Jan Böhmermann, bestimmte Verse erneut zu verbreiten: „Die in Rede stehenden Textpassagen überschreiten das Maß dessen, was der Kläger noch dulden muss“. Das OLG Hamburg bestätigte diese Entscheidung (OLG Hamburg, Urt. v. 15.05.2018 -7 U 34/17).
Im Einzelnen darf Böhmermann folgende Verse nicht mehr verbreiten (wir haben von einer Wiederholung des Originalwortlauts abgesehen:
„….stinkt schlimm , selbst ein Schweinefurz riecht schöner. …Am liebsten mag er Ziegen…, …. Und selbst abends heisst's statt schlafen…. Ja, E. ist voll und ganz, ein Präsident mit kleinem… …Jeden Türken hört man flöten…. Von Ankara bis Istanbul, weiß jeder, dieser Mann ist …. Sein Kopf so leer,… der Star…. Bis…, das ist R. E., der türkische Präsident.“
Beispiele für Schmähkritik
In der Rechtsprechung gibt es zahlreiche Beispiele von wirklicher Schmähkritik.
Eckhard Henscheid schrieb in der Kurzbesprechung des Romans „Und sagte kein einziges Wort“ von H. Böll in der Literaturzeitschrift Rabe (1991):
„Es ist schon schlechterhin phantastisch, was für ein steindummer, kenntnisloser und talentfreier Autor schon der junge Böll war, vom alten fast zu schweigen -und mehr noch: Er war, gegen's allzeit und bis heute kurrente Klischee und mit Sicherheit gegen seine eigene Selbsteinschätzung, auch einer der verlogensten, ja korruptesten. Daß ein derartiger z. T. pathologischer, z. T. ganz harmloser Knallkopf den Nobelpreis erringen durfte; daß Hunderttausende lebenslang katholisch belämmerte und verheuchelte Idioten jahrzehntelang den häufig widerwärtigen Dreck weglasen; daß heute noch die Grünen auf eben ihm Stiftungshäuser erbauen -ist das nicht alles wunderbar?“
Für das Bundesverfassungsgericht war das ein klassischer Fall von Schmähkritik. Zur Frage, ob es noch einen sachlichen Bezug gäbe, schrieben die Richter: „Bezüge zu Inhalt oder Form des rezensierten Romans insgesamt oder zu einzelnen Textstellen fehlen gänzlich […]. Die Äußerungen sind auch nicht etwa abseits des literarischen Werks in eine Auseinandersetzung mit sonstigen Anschauungen oder Verhaltensweisen Bölls eingebettet. Sie stehen für sich und erschöpfen sich in dem schmähenden Inhalt.“
- Schmähkritik sah der BGH auch hier: Eine Fernsehansagerin wurde als „ausgemolkene Ziege“ bezeichnet, bei deren Anblick den Zuschauern „die Milch sauer werde“ (BGHZ39, 124).
- Einen weiteren Fall beschrieb das Bundesverfassungsgericht so: Der Beschwerdeführer veröffentlichte in der Zeitschrift "konkret" mehrere Karikaturen des Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, die diesen als sich sexuell betätigendes Schwein darstellen. In der ersten der Zeichnungen kopuliert dieses Schwein mit einem richterliche Amtstracht tragenden Schwein. Damals – Ende der 1980er Jahre – höchstrichterlich eine Schmähkritik (BVerfGE 75, 369 [1987]).
- der Wunsch gegenüber einem Politiker, "der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten", LG Berlin AfP 2013, 526
- Bezeichnung eines ausländischen Politikers als "Ziegenficker" in einem "Gedicht", LG Hamburg, AfP 2016, 282.
Meinungsfreiheit und Schmähkritik
Juristisch hat es einen Grund, dass Schmähkritik nur im Ausnahmefall angenommen wird. Im Meinungskampf stehen sich bekanntlich das Persönlichkeitsrecht und die Meinungsfreiheit gegenüber. Welche Äußerung zulässig ist, bestimmt sich normalerweise in einer Abwägung zwischen diesen beiden Rechtsgütern. Nicht so bei der Schmähkritik. Bei dieser findet keine Abwägung statt: Sie ist immer unzulässig.
„Wer Schmähkritik äußert, verliert vor Gericht immer!“ – Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Von der Meinungsfreiheit ist Schmähkritik nicht gedeckt.
Das heißt im Umkehrschluss: Stuft ein Gericht eine Äußerung vorschnell als Schmähkritik ein, berücksichtigt es nicht die Meinungsfreiheit des Urhebers der Aussage. Das Gericht verletzt diesen dann in seiner Meinungsfreiheit, einem Grundrecht. Verdeutlichen lässt sich das an einem aktuellen Fall des Bundesverfassungsgerichts:
In einem Gerichtsprozess verglich ein Prozessbeteiligter die Verhandlungsführung des Richters mit nationalsozialistischen Sondergerichten und Hexenprozessen. Strafrechtlich wurde er daraufhin wegen Beleidigung gem. § 185 StGB verurteilt.
Zu Unrecht entschied das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17). Die Richter sahen nämlich durchaus einen sachlichen Bezug zu dem von dem Betroffenen geführten Prozess, in dem er sich unfair behandelt fühlte. Seine Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg und das Strafurteil war unrechtmäßig.
Keine Schmähkritik ist es, wenn Versandkosten als "Wucher" in einer negativen Bewertung im Internet betitelt werden, BGH, Urteil vom 28. September 2022 - VIII ZR 319/20
Abgrenzung Schmähkritik zur Satire
Besonders schwierig ist im Kontext der Schmähkritik die Abgrenzung zur Satire. Was Satire ist und wie weit Satire gehen darf kann hier nachgelesen werden: "Wie weit darf Satire gehen?"
Die Satire lebt gerade von besonders spitzen Pointen auf Kosten der Betroffenen. Genannt seien hier diverse Cover der Saitrezeitschrift „Titanic“.
Ein Portrait des SPD-Politikers Kurt Beck beschrifteten die Autoren in der Zeit, zu der ein in Süddeutschland umherirrender Braunbär die Boulevardzeitungen füllte, in einer Ausgabe mit "Problembär außer Rand und Band: Knallt die Bestie ab!"
Selbst der emeritierte Papst Benedikt XVI. klagte gegen ein Cover der Zeitschrift zu Zeiten von „Vatileaks“. Dieses zeigte den Papst in Jubelpose mit gelbem Fleck im Schritt. Die Headline: Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden. Die Rückseite des Hefts erklärt sich von selbst.
Für derartige Fälle hat die Rechtsprechung schon seit 1928 eine bestimmte „Auslegungstechnik“ entwickelt. Dabei wird unterschieden zwischen Aussagekern und Einkleidung („Mantel“) einer Äußerung. Die Kernaussage muss erst von ihrem überspitzten Mantel getrennt werden und separat bewertet werden. Nur wenn bei diesem „Kern“ jeder sachliche Bezug fehlt, kann Satire Schmähkritik sein. In beiden genannten Fällen dürfte das wohl nicht der Fall gewesen sein. Darüber, ob nicht vielleicht trotzdem das Persönlichkeitsrecht verletzt wurde, weil es die Meinungsfreiheit überwiegt, lässt sich natürlich kontrovers streiten.