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Whitepaper True Crime

Veröffentlicht am

​​Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Persönlichkeitsrechte - das Fundament des Medienschutzes

a. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

b. Namensnennung und Bildveröffentlichung

c. Postmortales Persönlichkeitsrecht (Art.1 Abs.1 GG)

2. Unschuldsvermutung - Schutz vor Vorverurteilung (Art.6 Abs.2 EMRK)

3. Opferschutz (Ziffern 8; 11.2, 11.5; 13 Pressekodex / §24 Medienstaatsvertrag)

4. Sorgfaltspflicht und Recherche - Fakten als Fundament

5. Verleumdung und üble Nachrede - strafrechtliche Risiken

6. Medienrechtliche Einwilligungen und Urheberrecht

7. Ethik und journalistische Selbstkontrolle

8. Best Practice für True-Crime Formate

Einleitung

True-Crime-Formate haben sich in den vergangenen Jahren zu einem der erfolgreichsten und populärsten Genres entwickelt. Von Netflix-Dokumentationen über erfolgreiche Podcasts bis hin zu YouTube-Kanälen mit Millionen von Abonnenten - die mediale Aufarbeitung realer Kriminalfälle zieht ein breites Publikum an und generiert erhebliche Reichweiten sowie kommerzielle Erfolge. Das Genre bringt jedoch komplexe rechtliche Herausforderungen mit sich, die von vielen Medienschaffenden noch nicht ausreichend erkannt oder ernst genommen werden. 

Die rechtlichen Fallstricke bei True-Crime-Formaten sind vielfältig und weitreichend. Sie reichen von Persönlichkeitsrechten der Betroffenen über die verfassungsrechtlich garantierte Unschuldsvermutung bis hin zu spezifischen Opferschutzbestimmungen und urheberrechtlichen Aspekten. Besonders problematisch ist dabei, dass die emotionale Wirkung und der Unterhaltungscharakter dieser Formate dazu führen können, dass die journalistische Sorgfaltspflicht und ethische Grundsätze in den Hintergrund treten. 

Die rechtlichen Konsequenzen von Verstößen können erheblich sein und reichen von zivilrechtlichen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen über presserechtliche Sanktionen bis hin zu strafrechtlichen Verfahren wegen Verleumdung oder übler Nachrede. Darüber hinaus können ethische Verstöße zu einem nachhaltigen Reputationsverlust führen und die Glaubwürdigkeit des gesamten Medienunternehmens schädigen. 

Dieses White Paper verfolgt das Ziel, Medienschaffenden aller Bereiche einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Anforderungen zu geben, die bei der Produktion von True-Crime-Inhalten zu beachten sind. Dabei geht es nicht darum, kreative Freiräume einzuschränken, sondern vielmehr darum, professionelle Standards zu etablieren, die sowohl rechtliche Sicherheit als auch ethische Verantwortung gewährleisten. 

1. Persönlichkeitsrechte – Das Fundament des Medienschutzes

a. Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) 

Die Persönlichkeitsrechte bilden das zentrale Schutzinstrument für alle Personen, die in True-Crime-Formaten dargestellt werden, und stellen gleichzeitig die größte rechtliche Herausforderung für Medienschaffende dar. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht findet seine Grundlage in dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 GG und der Menschwürde des Art. 1 GG. Es dient der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts nach, der Zusicherung eines autonomen Bereichs privater Lebensgestaltung, in dem der Einzelne seine Individualität entwickeln und wahren kann. „Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich „für sich zu sein“, „sich selber zu gehören“. Eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistet Einzelnen ein Selbstbestimmungsrecht darüber, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen. Der Schutz reicht allerdings nicht so weit, „daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Jedenfalls wird er aber vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind.“

Schutz vor Verletzung der Privatsphäre, Intimsphäre - auch Ehrverletzungen

Das Persönlichkeitsrecht gliedert sich in verschiedene Schutzebenen, die unterschiedliche Intensitäten des Schutzes bieten.

Die Intimsphäre als innerste Schutzebene umfasst höchstpersönliche Lebensbereiche wie Sexualität, schwere Krankheiten, familiäre Konflikte und private Korrespondenz. Eingriffe in diese Sphäre sind grundsätzlich unzulässig und können nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt werden. Für True-Crime-Formate bedeutet dies konkret, dass beispielsweise die Veröffentlichung von Liebesbriefen eines Mordopfers oder die detaillierte Darstellung privater Gewohnheiten eines Täters ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen oder ihrer Angehörigen rechtlich unzulässig ist. 

Die Privatsphäre als mittlere Schutzebene erfasst das häusliche Umfeld, die Freizeitgestaltung, private Gewohnheiten und finanzielle Verhältnisse. Hier ist eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse möglich, die Hürden für eine Rechtfertigung sind jedoch hoch. In der Praxis bedeutet dies, dass Innenaufnahmen der Wohnung eines Täters oder detaillierte Darstellungen seiner finanziellen Situation nur bei besonderem öffentlichem Interesse und unter strengen Voraussetzungen zulässig sind.

Die Sozialsphäre als äußerste Schutzebene umfasst Berufstätigkeit, öffentliche Auftritte und gesellschaftliche Kontakte. Hier ist der Schutz am geringsten, dennoch bestehen auch in diesem Bereich Grenzen, die insbesondere bei der Darstellung von Personen relevant werden, die unfreiwillig in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind.

Besonders sensibel bei Opfern, Angehörigen und (mutmaßlichen) Tätern.

Die besondere Schutzwürdigkeit verschiedener Personengruppen in True-Crime-Formaten ergibt ich aus verfassungsrechtlichen und zivilrechtlichen Bestimmungen. Der Pressekodex dient lediglich als Richtschnur für journalistische Selbstkontrolle, hat jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit. 

Grundlagen des Opferschutzes:

Der Schutz von Opfern ergibt sich primär aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Recht am eigenen Bild nach §§ 22, 23 KUG. Opfer sind grundsätzlich nicht als Personen der Zeitgeschichte anzusehen und genießen besonderen Schutz vor identifizierender Darstellung. Ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Abbildung von Opfern ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzuerkennen. Nach einem gewissen Zeitablauf können Opfer einen weitreichenden Anonymitätsschutz für sich in Anspruch nehmen.  

Der Presserat stellte 2019 in seiner bisher einzigen Rüge gegen ein True-Crime-Format (“Stern Crime”) fest, dass die Veröffentlichung von Opferfotos und die namentliche Nennung einen schweren Verstoß gegen den Opferschutz darstellen. Besonders problematisch war die Darstellung minderjähriger Opfer. Der “Klassiker” bei Beschwerden zum Opferschutz ist die unerlaubte Übernahme von Fotos aus sozialen Medien ohne Erlaubnis der Betroffenen oder Angehörigen. 

Angehörige:

Angehörige haben eigenständige Persönlichkeitsrechte, die jedoch nur bei unmittelbarer Betroffenheit greifen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden Angehörige durch Berichterstattung nur dann in ihren eigenen Persönlichkeitsrechten verletzt, wenn ihre Persönlichkeitssphäre selbst zum Thema des Berichts gehört. Bloße “Reflexwirkungen” aufgrund persönlicher Verbundenheit zu der dargestellten Person bleiben schutzlos. Konkret bedeutet dies: Angehörige können eigene Persönlichkeitsrechte nur dann geltend machen, wenn sie selbst Gegenstand der Berichterstattung werden - etwa durch Namensnennung, Bildveröffentlichung oder detaillierte Darstellung ihrer persönlichen Verhältnisse. Das bloße Leid, das sie durch die Berichterstattung über das Opfer erfahren, begründet noch keine eigenen Abwehrrechte.

Beschuldigte und Verurteilte:

Beschuldigte und Verurteilte haben zunächst dieselben allgemeinen Persönlichkeitsrechte wie alle anderen Personen auch. Im Gegensatz zu Angehörigen sind sie durch True-Crime-Formate regelmäßig unmittelbar betroffen, da sie selbst Gegenstand der medialen Darstellung sind.

Grundsätzlich Wer den Rechtsfrieden bricht, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird.

Zivilrechtlich können sich Beschuldigte und Verurteilte auf § 823 Abs. 1 BGB stützen, wenn ihre Persönlichkeitsrechte durch mediale Darstellung verletzt werden. Sie können Unterlassung, Widerruf, Schadenersatz und bei schweren Verletzungen auch Geldentschädigung verlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie rechtskräftig verurteilt wurden oder ob das Verfahren noch läuft.

Bei laufenden Verfahren kommt zusätzlich die Unschuldsvermutung zum Tragen, die vorverurteilende Darstellungen verbietet. Auch bei bereits Verurteilten bleibt jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht bestehen und kann Grenzen für die mediale Darstellung setzen, insbesondere wenn diese in die Privat- oder Intimsphäre eingreift oder ehrverletzenden Charakter hat.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Persönlichkeitsrechten genießen verurteilte Straftäter ein spezifisches Resozialisierungsinteresse, das verfassungsrechtlich in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Lebach-Entscheidung von 1973 entschieden, dass Täter nach geraumer Zeit die Eigenschaft als relative Person der Zeitgeschichte verlieren und beanspruchen können, dass nicht mehr identifizierend über sie berichtet wird.

Das Resozialisierungsinteresse gewinnt mit zeitlicher Distanz zur Tat an Gewicht und kann eigenständige Unterlassungsansprüche gegen identifizierende Berichterstattung begründen. Für eine erneute identifizierende Darstellung muss ein Aktualisierungsgrund vorliegen - ein bloßes Jubiläum der Tat reicht nicht aus. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass das Resozialisierungsinteresse besonders dann stark wiegt, wenn die Straftat verbüßt ist und der Täter sich um eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bemüht.

Bei minderjährigen Beschuldigten oder Verurteilten ist der Schutz besonders hoch: Nach den allgemeinen medienrechtlichen und presserechtlichen Grundsätzen sowie dem Pressekodex dürfen Namen, Bilder oder andere identifizierende Merkmale von Jugendlichen grundsätzlich nicht veröffentlicht werden. Ziel ist es, die Entwicklung und Resozialisierung junger Menschen zu schützen – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

b. Namensnennung und Bildveröffentlichung

Die Frage der Namensnennung und Bildveröffentlichung stellt in True-Crime-Formaten eine der komplexesten rechtlichen Herausforderungen dar.

Grundsatz: Anonymisierung (z. B. nur Initialen, verpixelte Bilder).

Für die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses in den Medien bedarf es grundsätzlich der Zustimmung des Abgebildeten. Daraus ergibt im Umkehrschluss der Grundsatz der Anonymisierung. Vollständige Anonymisierung bedeutet die Verwendung von Initialen für Vor- und Nachname, die Verpixelung oder Unkenntlichmachung von Gesichtern, die Verfremdung charakteristischer Stimmen und das Weglassen spezifischer Ortsangaben, die eine Identifizierung ermöglichen könnten.

Unzureichend sind hingegen die Verwendung nur des Nachnamens mit Initialen des Vornamens, einfache Augenbalken bei charakteristischen Gesichtszügen oder die Nennung spezifischer Wohnorte oder Arbeitsstellen. Besondere Vorsicht ist bei der Kombination verschiedener Informationen geboten, die in ihrer Gesamtheit zur Identifizierung führen können, auch wenn jede einzelne Information für sich genommen unproblematisch erscheint.

Ausnahme: Öffentliches Interesse bei Prominenten oder bereits bekannten Fällen (z. B. „NSU-Prozess“).

Von der Anonymisierungspflicht bei Bildveröffentlichungen bestehen Ausnahmen nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für „Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte“. Der Begriff “Zeitgeschichte” umfasst alle Angelegenheiten von öffentlichem Interesse, die zur allgemeinen Willensbildung beitragen. Entscheidend ist nicht die Person selbst, sondern das zeitgeschichtliche Ereignis, mit dem das Bildnis in engem Zusammenhang steht.

Für die Rechtmäßigkeit von Bildveröffentlichungen ist erforderlich, dass ein öffentliches Informationsinteresse besteht, das über die bloße Abbildung hinausgeht. Es erfolgt stets eine Einzelfallabwägung zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und dem Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Lebach-Entscheidung den Grundsatz aufgestellt, dass bei aktueller Berichterstattung über Straftaten das öffentliche Informationsinteresse grundsätzlich Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Täters verdient. Wer durch eine Straftat den Rechtsfrieden bricht und dadurch Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift, muss grundsätzlich dulden, dass das von ihm erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt wird. Diese Kontrolle durch die Medien dient auch dem Schutz des Täters im Strafverfahren.

Bei bereits bekannten Fällen von gesellschaftlicher Relevanz wie dem NSU-Prozess kann eine identifizierende Bildberichterstattung gerechtfertigt sein, wenn das öffentliche Informationsinteresse die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen überwiegt. Allerdings dürfen auch hier keine berechtigten Interessen des Abgebildeten verletzt werden.

Bei Tätern: Abwägung zwischen Informationsinteresse der Öffentlichkeit und Resozialisierungsinteresse.

Bei Beschuldigten und Verurteilten ist eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse und dem verfassungsrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Lebach-Entscheidung von 1973 entwickelt, dass Täter nach geraumer Zeit die Eigenschaft als relative Person der Zeitgeschichte verlieren und beanspruchen können, dass nicht mehr identifizierend über sie berichtet wird.

Das Gericht stellte dabei fest, dass nach Abschluss der Strafverfolgung und angemessener Information der Öffentlichkeit weitere Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich des Täters grundsätzlich nicht mehr gerechtfertigt werden können. Solche fortgesetzten oder wiederholten medialen Darstellungen würden eine erneute soziale Sanktion über die rechtlich verhängte Strafe hinaus bedeuten, was verfassungsrechtlich bedenklich ist.

Die Abwägung hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Schwere der Straftat, der gesellschaftlichen Relevanz des Falls, dem zeitlichen Abstand zur Tat und dem aktuellen Status des Täters. Während unmittelbar nach der Tat ein starkes öffentliches Interesse bestehen kann, gewinnt das Resozialisierungsinteresse mit der Zeit an Gewicht, insbesondere nach Verbüßung der Strafe.

Erfordernis eines Aktualisierungsgrunds

Für eine erneute identifizierende Berichterstattung über bereits abgeschlossene Fälle muss ein sachlicher Aktualisierungsgrund vorliegen. Ein bloßes Jubiläum der Tat reicht hierfür nicht aus. Diese Anforderung ergibt sich unmittelbar aus der Lebach-Rechtsprechung, die klarstellt, dass nach ordnungsgemäßer Sanktionierung und öffentlicher Information weitere mediale Eingriffe eine unzulässige zusätzliche Bestrafung darstellen würden.

Erforderlich sind neue Entwicklungen wie Wiederaufnahmen von Verfahren, neue Erkenntnisse, erneute Straffälligkeit oder andere sachliche Gründe, die ein aktuelles öffentliches Interesse begründen. Diese Anforderung schützt sowohl Täter als auch Opfer und deren Angehörige vor einer endlosen Wiederverwertung ihrer Schicksale zu Unterhaltungszwecken.

c. Postmortales Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG)

Das postmortale Persönlichkeitsrecht regelt die Fortwirkung persönlichkeitsrechtlicher Positionen nach dem Tod einer Person. Für True-Crime-Formate ist dieses Rechtsgebiet von erheblicher praktischer Bedeutung, da häufig verstorbene Opfer, Täter oder andere Beteiligte dargestellt werden.

Rechtliche Grundlagen und Abgrenzung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erlischt grundsätzlich mit dem Tod, da nur lebende Personen Träger von Grundrechten sein können. Über den Tod hinaus bleibt jedoch der Schutzauftrag aus Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) bestehen. Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits 1971 fest, dass es “mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde unvereinbar wäre, wenn der Mensch nach seinem Tode in seinem allgemeinen Achtungsanspruch herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte”.

Streng genommen handelt es sich daher nicht um ein “postmortales Persönlichkeitsrecht”, sondern um einen “postmortalen Persönlichkeitsschutz”, der ausschließlich auf der Menschenwürde basiert und daher weniger umfassend ist als der Schutz zu Lebzeiten.

Ideelle und kommerzielle Bestandteile

Der postmortale Persönlichkeitsschutz umfasst zwei verschiedene Schutzbereiche mit unterschiedlicher Intensität und Regelungsstruktur:

Ideelle Bestandteile: Die ideellen Bestandteile schützen vor Verletzungen des allgemeinen Achtungsanspruchs und vor groben Verzerrungen des Lebensbildes. Der Schutz ist auf schwere Eingriffe beschränkt - es muss eine “grobe Entstellung des Lebensbildes” oder eine Verletzung der Menschenwürde vorliegen. Bloße Indiskretionen oder leichte Beeinträchtigungen fallen nicht darunter.

Wahrnehmungsberechtigt sind die nächsten Angehörigen (§ 22 S. 4 KUG analog), also Ehegatte, Lebenspartner, Kinder, hilfsweise Eltern, Geschwister und Enkel. Diese können nur Abwehransprüche (Unterlassung, Beseitigung) geltend machen, aber keine materiellen oder immateriellen Schadensersatzansprüche, da deren Genugtuungsfunktion beim Verstorbenen ins Leere ginge.

Kommerzielle Bestandteile: Die kommerziellen Bestandteile schützen vor der unbefugten wirtschaftlichen Verwertung der Persönlichkeit des Verstorbenen, insbesondere zu Werbezwecken. Diese Rechte gehen als Vermögenswerte auf die Erben über, die jedoch entsprechend dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen handeln müssen.

Bei Verletzung der kommerziellen Bestandteile können die Erben neben Abwehransprüchen auch materiellen Schadensersatz (etwa in Form fiktiver Lizenzgebühren) verlangen. Immaterielle Schadensersatzansprüche sind auch hier ausgeschlossen. 

Unterschiedliche Schutzdauer

Die Schutzdauer variiert erheblich zwischen den verschiedenen Bereichen:

Kommerzielle Bestandteile: Der BGH hat die 10-Jahres-Frist des § 22 S. 3 KUG analog auf alle kommerziellen Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsschutzes angewandt. Nach zehn Jahren erlöschen diese Rechte vollständig.

Ideelle Bestandteile: Hier gibt es keine starre Zeitgrenze. Das Bundesverfassungsgericht formulierte: “Das Schutzbedürfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt.” Bei prominenten Persönlichkeiten kann der Schutz durchaus 30 Jahre oder länger bestehen.

Recht am eigenen Bild: Nach § 22 S. 3 KUG bedarf es zehn Jahre nach dem Tod nur noch der Einwilligung der nächsten Angehörigen für Bildveröffentlichungen. Nach Ablauf dieser Frist erlischt auch dieser Schutz.

Besondere Regelungen

Urheberpersönlichkeitsrecht:Das Urheberpersönlichkeitsrecht nach §§ 12 ff. UrhG besteht 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers fort und geht auf die Erben über.

Strafrechtlicher Schutz: § 189 StGB verbietet die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und ergänzt den zivilrechtlichen Schutz um eine strafrechtliche Komponente.

Praktische Auswirkungen für True-Crime-Formate

Für True-Crime-Formate ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen je nach beteiligter Personengruppe:

Verstorbene Opfer: Nach zehn Jahren erlischt der Bildnisschutz vollständig. Der ideelle Schutz besteht fort, greift aber nur bei groben Verzerrungen des Lebensbildes oder menschenwürdeverletzenden Darstellungen. Eine sachliche, respektvolle Darstellung des Schicksals verstorbener Opfer ist daher rechtlich meist zulässig.

Verstorbene Täter: Hier kann das Resozialisierungsinteresse noch zu Lebzeiten eine Rolle gespielt haben. Nach dem Tod gelten dieselben Grundsätze wie bei Opfern, allerdings können Angehörige bei groben Verzerrungen des Lebensbildes vorgehen.

Verstorbene Angehörige: Auch sie können vom postmortalen Persönlichkeitsschutz erfasst sein, insbesondere wenn sie in True-Crime-Formaten identifizierend dargestellt werden, ohne dass sie selbst zur Straftat in Beziehung standen.

Strukturelle Besonderheiten 

Eine strukturelle Asymmetrie besteht darin, dass die Persönlichkeitsrechte verstorbener Personen zeitlich begrenzt sind, während lebende Täter oft dauerhaft durch das Resozialisierungsinteresse geschützt bleiben. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass verstorbene Opfer nach einer bestimmten Zeit weniger Schutz genießen können als ihre noch lebenden Peiniger.

Der postmortale Persönlichkeitsschutz ist insgesamt schwächer ausgeprägt als der Schutz zu Lebzeiten, was dem Umstand Rechnung trägt, dass der Verstorbene selbst nicht mehr beeinträchtigt werden kann und gleichzeitig das öffentliche Interesse an historischer Aufarbeitung und Meinungsbildung zu berücksichtigen ist.

2. Unschuldsvermutung – Schutz vor Vorverurteilung (Art. 6 Abs. 2 EMRK)

Die Unschuldsvermutung gehört zu den fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien und ist für True-Crime-Formate von zentraler Bedeutung. Sie schützt Beschuldigte vor vorverurteilender medialer Darstellung und verpflichtet Medienschaffende zu besonderer Sorgfalt bei der sprachlichen Gestaltung ihrer Inhalte. 

Rechtliche Grundlagen der Unschuldsvermutung 

Die Unschuldsvermutung ist in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert, der besagt: “Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.” Diese internationale Verankerung unterstreicht die fundamentale Bedeutung des Prinzips für rechtsstaatliche Verfahren. Auf nationaler Ebene ergibt sich die Unschuldsvermutung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG.

Obwohl die Unschuldsvermutung primär staatliche Stellen bindet und deren Verhalten in Strafverfahren regelt, entfaltet sie auch mittelbare Wirkung auf die Medienberichterstattung. Mediale Vorverurteilungen können nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzen, sondern auch das Strafverfahren selbst beeinflussen und damit rechtsstaatliche Prinzipien untergraben.

Geltung für Medien durch mittelbare Drittwirkung

Für Medien gilt die Unschuldsvermutung aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 20. Juni 2023 klargestellt, dass im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen ist, „dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf ‘etwas hängenbleibt’“.6

Zusätzlich zu dieser verfassungsrechtlichen Bindung hat sich die Presse in Ziffer 13 des Pressekodex selbst zur Einhaltung der Unschuldsvermutung verpflichtet. Diese freiwillige Selbstbindung der Medien konkretisiert die journalistische Verantwortung bei der Berichterstattung über Strafverfahren. Der Pressekodex präzisiert in Richtlinie 13.1, dass die Presse eine Person nur dann als Täter bezeichnen darf, „wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat“. Diese Regelung trägt der besonderen Verantwortung der Medien Rechnung und zeigt auf, dass auch bei eindeutigen Indizien äußerste Vorsicht geboten ist.

Folgen vorverurteilender Berichterstattung

Vorverurteilende Berichterstattung kann schwerwiegende gesellschaftliche Folgen haben, die weit über das eigentliche Strafverfahren hinausreichen. Sie kann das laufende Verfahren beeinflussen, indem sie Druck auf Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaft oder Gericht ausübt. Sie kann potenzielle Zeugen in ihrer Aussagebereitschaft beeinflussen und die Unbefangenheit von Geschworenen oder Schöffen gefährden. Darüber hinaus kann sie bei später freigesprochenen oder rehabilitierten Personen zu nachhaltigen gesellschaftlichen Schäden führen, da mediale Vorverurteilungen oft länger im Gedächtnis bleiben als spätere Korrekturen.

Verdachtsberichterstattung bei laufenden Verfahren

Solange ein Strafverfahren noch läuft, müssen Medien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einhalten. Dies bedeutet, dass niemand öffentlich als schuldig dargestellt werden darf, bevor ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Die sprachliche Gestaltung muss den vorläufigen Charakter der Ermittlungen und Anschuldigungen deutlich machen.

Zulässige Formulierungen, die den Verdachtscharakter angemessen ausdrücken, sind beispielsweise „wird beschuldigt“, „soll beteiligt gewesen sein“, „steht im Verdacht“, „mutmaßlicher Täter“, „laut Anklage“ oder „nach Angaben der Staatsanwaltschaft“. Diese Formulierungen machen deutlich, dass es sich um Vorwürfe handelt, die noch nicht rechtskräftig bewiesen sind. Besonders wichtig ist die konsequente Verwendung des Konjunktivs bei der Wiedergabe von Aussagen oder Geständnissen, die noch nicht gerichtlich überprüft wurden.

Unzulässig sind hingegen Formulierungen wie „der Täter“, „hat begangen“, „ist schuldig“ oder „wie er zugab“ bei widerrufenen oder noch nicht gerichtlich bestätigten Geständnissen. Solche Formulierungen suggerieren eine bereits feststehende Schuld und verletzen die Unschuldsvermutung. Besonders problematisch sind auch Darstellungen, die durch ihre Bildsprache, Musikuntermalung oder dramaturgische Gestaltung eine Schuld suggerieren, obwohl der Text formal korrekt formuliert ist.

Besondere Sorgfaltspflicht und Abwägungskriterien

Die Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung variieren je nach den Umständen des Falls. Bei schweren Vorwürfen wie Mord oder Sexualstraftaten sind höhere Sorgfaltsstandards anzulegen als bei geringfügigen Delikten. Bei unsicherem Verdacht oder schwacher Beweislage ist eine besonders zurückhaltende Berichterstattung geboten. Die Verfahrenslage spielt ebenfalls eine Rolle: Während bei einer Anklageerhebung eine Berichterstattung eher gerechtfertigt ist, sind bei bloßen Ermittlungen oder vorläufigen Festnahmen höhere Hürden anzulegen.

Der Hinweis auf den Verdachtscharakter muss regelmäßig und deutlich erfolgen. Es reicht nicht aus, einmalig zu Beginn eines Beitrags darauf hinzuweisen, dass es sich um Vorwürfe handelt, wenn anschließend durchgehend wie von bewiesenen Tatsachen gesprochen wird. Vielmehr müssen die entsprechenden sprachlichen Wendungen kontinuierlich verwendet werden, um den vorläufigen Charakter der Darstellung zu verdeutlichen.

Umgang mit verschiedenen Verfahrensstadien

Bei eingestellten Verfahren ist besondere Sensibilität geboten. Die Einstellung kann aus verschiedenen Gründen erfolgen - mangels hinreichenden Tatverdachts, aus Opportunitätsgründen oder wegen Verfahrenshindernissen. Medien sollten nicht nur über die Einstellung berichten, sondern auch die Gründe erläutern, soweit diese bekannt sind. Wichtig ist dabei, keine eigenen Schuldzuweisungen vorzunehmen oder zu suggerieren, dass eine Einstellung gleichbedeutend mit einer Verurteilung sei.

Bei Freisprüchen ist eine klare Kommunikation des Verfahrensausgangs erforderlich. Medien sollten Freisprüche ebenso prominent behandeln, wie die ursprünglichen Anschuldigungen und dabei deutlich machen, dass die Unschuld festgestellt wurde. Eine Rehabilitierung der Person ist geboten, und frühere Darstellungen sollten entsprechend korrigiert werden. Formulierungen wie „aus Mangel an Beweisen freigesprochen“ können problematisch sein, da sie suggerieren, dass die Person möglicherweise doch schuldig ist, dies nur nicht bewiesen werden konnte.

Praktische Umsetzung in True-Crime-Formaten

True-Crime-Formate stehen vor besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung der Unschuldsvermutung. Der narrative Charakter dieser Formate und ihr Unterhaltungsanspruch können dazu verleiten, dramaturgische Elemente zu verwenden, die eine Schuld suggerieren. Besonders problematisch sind rekonstruierte Szenen, die den Eindruck erwecken, den tatsächlichen Tatablauf zu zeigen, obwohl dieser möglicherweise nicht tatrichterlich festgestellt ist.

Bei der Darstellung verschiedener Versionen oder Theorien sollten alle Möglichkeiten fair und ausgewogen präsentiert werden. Es ist zu vermeiden, eine bestimmte Version als wahrscheinlich oder plausibel herauszustellen, wenn das Gericht noch nicht entschieden hat. Auch die Auswahl und Gewichtung von Indizien oder Beweismitteln darf nicht suggerieren, dass die Schuld bereits feststehe.

Besondere Vorsicht ist bei der Verwendung von Ermittlungsakten, Abhörprotokollen oder anderen Beweismitteln geboten. Diese geben nur einen Ausschnitt der Ermittlungen wieder und können irreführend sein, wenn sie ohne entsprechende Einordnung präsentiert werden. Die Darstellung sollte stets deutlich machen, dass es sich um Ermittlungsergebnisse handelt, die noch der gerichtlichen Überprüfung bedürfen.

Konsequenzen bei Verletzung der Unschuldsvermutung

Verletzungen der Unschuldsvermutung können verschiedene rechtliche Konsequenzen haben. Zivilrechtlich können Betroffene Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadenersatzansprüche geltend machen. Bei schweren Verletzungen kann auch eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden verlangt werden. Darüber hinaus können vorverurteilende Darstellungen strafprozessuale Konsequenzen haben, wenn sie das Verfahren beeinflussen.

Die Unschuldsvermutung bleibt auch nach Verfahrensabschluss relevant, insbesondere wenn neue Erkenntnisse oder Wiederaufnahmeverfahren die ursprünglichen Feststellungen in Frage stellen. Medien sollten daher auch bei der Berichterstattung über abgeschlossene Fälle vorsichtig sein und nicht kategorisch von der Schuld einer Person ausgehen, wenn Zweifel bestehen oder neue Entwicklungen eingetreten sind.

3. Opferschutz (Ziffern 8; 11.2, 11.5; 13 Pressekodex / § 24 Medienstaatsvertrag)

Der Opferschutz ist ein zentrales Thema bei True-Crime-Formaten, da diese Formate naturgemäß Straftaten und deren Opfer thematisieren. Die medienrechtlichen Vorgaben zum Opferschutz basieren vor allem auf dem Pressekodex als Instrument der journalistischen Selbstkontrolle, sowie auf gesetzlichen Regelungen wie § 24 Medienstaatsvertrag, die den Schutz der Menschenwürde und Privatsphäre sicherstellen.

Rechtliche Grundlagen des medialen Opferschutzes

Der Deutsche Presserat hat 2021 die Ziffer 8 des Pressekodex grundlegend überarbeitet und mit der Richtlinie 8.2 erstmals eine eigenständige Regelung zum Opferschutz eingeführt. Diese definiert klar: “Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich.”

Ergänzend regelt § 24 des Medienstaatsvertrags den Schutz der Menschenwürde in audiovisuellen Medien und verbietet Programme, die “die Menschenwürde verletzen oder zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen Personen oder Personengruppen aufstacheln. Diese Bestimmung ist besonders für True-Crime-Formate in Rundfunk und Telemedien, zu denen Webvideo als auch Podcasts zählen, relevant.

Besondere Zurückhaltung bei Berichterstattung über Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten

Bei der Berichterstattung über Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten gelten besonders strenge Maßstäbe. Ziffer 11 des Pressekodex verbietet eine “unangemessen sensationelle Darstellung” und fordert besondere Zurückhaltung bei der Schilderung brutaler Vorgänge. True-Crime-Formate bewegen sich hier in einem kritischen Bereich, da sie einerseits informieren, andererseits aber auch unterhalten wollen. 

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Opfer von Sexualstraftaten besonders schutzbedürftig sind. Besonders problematisch sind detaillierte Schilderungen von Tatläufen, die über das für das Verständnis des Falls notwendige Maß hinausgehen. Solche Darstellungen können nicht nur die Würde des Opfers verletzen, sondern auch eine unzulässige Sensationsberichterstattung darstellen. Die Grenze ist dann überschritten, wenn die Darstellung primär der Befriedigung von Sensationslust dient und nicht der sachlichen Information.

Identitätsschutz und Anonymisierungspflicht

Der Schutz der Identität von Opfern ist zentral. Nach Richtlinie 8.2 können Name und Foto eines Opfers nur veröffentlicht werden, wenn das Opfer beziehungsweise Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Es dürfen keine Details veröffentlicht werden, die zur Identifizierung führen können: konkrete Wohnorte, Schulen, Arbeitsstellen oder familiäre Details. Bei kleineren Ortschaften kann bereits die Nennung des Ortes in Verbindung mit der Art der Straftat zur Identifizierung führen.

Einwilligung und Widerruf

Falls die Identität erkennbar wird, ist die Einwilligung der Betroffenen erforderlich. Bei lebenden Opfern muss diese frei, informiert und ausdrücklich erfolgen. Die Betroffenen müssen über Umfang, Reichweite und mögliche Folgen der Veröffentlichung aufgeklärt werden.

Bei verstorbenen Opfern sind nach § 22 Satz 3, 4 KUG die Angehörigen (Ehegatte, Eltern, Kinder) für zehn Jahre nach dem Tod berechtigt, über Bildveröffentlichungen zu entscheiden. Besondere Vorsicht ist bei minderjährigen Opfern geboten, wo grundsätzlich die Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich ist.

Strukturelles Problem bei verstorbenen Opfern

Ein strukturelles Problem besteht darin, dass die Persönlichkeitsrechte verstorbener Opfer nach zehn Jahren weitgehend erlöschen, während Täter durch das Resozialisierungsinteresse längerfristig geschützt sind. Diese Asymmetrie führt dazu, dass Opfer nach diesem Zeitraum weniger Schutz genießen als ihre Peiniger, was medienethisch problematisch ist. 

Praktische Umsetzung für True-Crime-Formate

True-Crime-Formate sollten bei der Auswahl von Fällen prüfen, ob eine Behandlung ohne Verletzung des Opferschutzes möglich ist. Angehörige sollten frühzeitig und respektvoll kontaktiert werden. Die Darstellung sollte sich auf notwendige Informationen beschränken und voyeuristische Elemente vermeiden.

4. Sorgfaltspflicht und Recherche – Fakten als Fundament

Die journalistische Sorgfaltspflicht ist das Fundament seriöser Medienarbeit und für True-Crime-Formate von besonderer Bedeutung. Da diese Formate reale Kriminalfälle behandeln und dabei häufig schwerwiegende Vorwürfe thematisieren, sind die Anforderungen an die Sorgfalt der Recherche besonders hoch.

Rechtliche Grundlagen der Sorgfaltspflicht

Die Sorgfaltspflicht ist in Ziffer 2 des Pressekodex verankert: “Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.” Diese Grundregel der journalistischen Arbeit wird durch § 6 des Medienstaatsvertrags für audiovisuelle Medien konkretisiert, der fordert, dass Nachrichten vor ihrer Verbreitung “mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen” sind.

Die Sorgfaltspflicht ist nicht statisch, sondern richtet sich nach den jeweiligen Umständen. Bei schwerwiegenden Vorwürfen, wie sie in True-Crime-Formaten typisch sind, sind höhere Sorgfaltsstandards anzulegen als bei Alltagsberichterstattung. Je gravierender die potentiellen Auswirkungen einer Falschmeldung, desto intensiver muss die Überprüfung sein. Wie auch sonst gilt: Alle Tatsachenbehauptungen müssen vor Veröffentlichung auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Quellen müssen klar benannt werden, soweit möglich. Vage Formulierungen wie „Gerüchte besagen“ oder „in sozialen Medien wird behauptet“ genügen nicht. Erforderlich sind konkrete Quellenangaben wie „Laut Gerichtsurteil vom Datum“ oder „Nach Angaben der Staatsanwaltschaft“.

Der narrative Charakter kann dazu verleiten, Lücken durch Spekulationen zu füllen. Eine klare Trennung zwischen belegten Fakten und Hypothesen ist erforderlich. Die oft lange Produktionszeit erfordert regelmäßige Aktualisierung der Recherche, da sich die Faktenlage während der Produktion ändern kann.

Einholen von Stellungnahmen als Teil der Sorgfaltspflicht

Ein zentraler Bestandteil der journalistischen Sorgfaltspflicht ist das Einholen von Stellungnahmen der Betroffenen vor Veröffentlichung. Dies soll verhindern, dass über einen Fall einseitig berichtet wird. Konkret sollte versucht werden, die Person oder ihren Verteidiger zu kontaktieren. Bei schriftlicher Kontaktaufnahme sollte eine den Umständen angemessene Frist gesetzt werden - in der Regel mindestens 24 Stunden, bis hin zu mehreren Werktagen, je nach Einzelfall.

In der Anfrage muss die konkrete Tat benannt werden, über die berichtet werden soll. Eine allgemeine Interviewanfrage reicht nicht aus. Der Betroffene muss die Gelegenheit haben, die Form seiner Stellungnahme selbst zu wählen. Eine Stellungnahme muss in den wesentlichen Punkten wiedergegeben werden und darf nicht sinnentstellend verkürzt werden. Wurde auf Anfrage keine Stellungnahme erhalten, sollte dies ebenfalls erwähnt werden.

Gegendarstellungsrecht als nachträglicher Anspruch

Das Gegendarstellungsrecht ist von der journalistischen Sorgfaltspflicht zu unterscheiden. Es handelt sich um einen nachträglichen Anspruch nach erfolgter Veröffentlichung, der in den Landespressegesetzen (in Rheinland-Pfalz § 11 Landesmediengesetz) und in § 20 Medienstaatsvertrag geregelt ist. Betroffene können verlangen, dass eine Gegendarstellung zu Tatsachenbehauptungen veröffentlicht wird. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob die beanstandete Tatsachenbehauptung wahr oder falsch war. Voraussetzung ist, dass der Anspruchsteller unmittelbar betroffen ist und ein berechtigtes Interesse hat. Die Gegendarstellung muss innerhalb von drei Monaten nach der Erstmitteilung verlangt werden.

5. Verleumdung und üble Nachrede - Strafrechtliche Risiken

Die Strafbarkeit der Verleumdung und üble Nachrede können strafrechtliche Risiken bei True-Crime-Formaten darstellen. Diese Delikte können bei falschen oder unvorsichtigen Tatsachenbehauptungen über Beteiligte verwirklicht werden und schwerwiegende Konsequenzen haben.

Abgrenzung der Straftatbestände

Üble Nachrede (§ 186 StGB) erfasst das Behaupten oder Verbreiten einer ehrverletzenden Tatsache, deren Wahrheit nicht erweislich ist. Der Täter muss nicht um die Unwahrheit wissen. Die Strafandrohung beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, bei öffentlicher Begehung bis zu zwei Jahren.

Verleumdung (§ 187 StGB) setzt voraus, dass der Täter wider besseres Wissen eine unwahre, ehrverletzende Tatsache behauptet oder verbreitet. Hier muss positives Wissen um die Unwahrheit vorliegen. Die Strafandrohung liegt bei bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, bei öffentlicher Begehung bis zu fünf Jahren. True-Crime-Formate erfüllen durch ihre Verbreitung in Medien regelmäßig das Merkmal der öffentlichen Begehung.

Der entscheidende Unterschied liegt im sog. subjektiven Tatbestand: Bei übler Nachrede genügt die objektive Unwahrheit, bei Verleumdung muss der Täter sicher um die Unwahrheit gewusst haben.

Medien tragen die Beweislast

Für Medienschaffende ist bei der Berichterstattung über Personen besonders wichtig: Wer eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung (also eine Aussage, die geeignet ist, den Ruf einer Person zu schädigen) aufstellt oder verbreitet, trägt im Streitfall die Beweislast für deren Wahrheit. Das heißt: Die Medien müssen vor Gericht nachweisen können, dass die behauptete Tatsache zutrifft. Gelingt dieser Wahrheitsbeweis nicht – etwa weil keine ausreichenden Belege oder Zeugen existieren – gilt die Aussage als „nicht erweislich wahr“ und ist unzulässig, selbst wenn sie subjektiv für richtig gehalten wurde.

Diese Beweislastumkehr ist für alle Medien zentral: Nicht der Betroffene muss die Unwahrheit beweisen, sondern der Verbreiter muss die Wahrheit nachweisen. Kann der Wahrheitsbeweis nicht geführt werden, drohen zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Widerruf und Schadensersatz sowie ggf. strafrechtliche Konsequenzen.

Tatsachenbehauptung versus Meinungsäußerung

Beide Tatbestände setzen eine Tatsachenbehauptung voraus, nicht bloße Meinungsäußerungen oder Werturteile. Tatsachen sind objektiv überprüfbare Aussagen über vergangene oder gegenwärtige Zustände.

Vorsicht bei Schuldzuweisungen

Falsche Tatsachenbehauptungen können strafbar sein, insbesondere wenn sie Personen als Täter von Straftaten darstellen. True-Crime-Formate sind besonders gefährdet, da sie oft über ungeklärte oder umstrittene Sachverhalte berichten. Problematisch sind:

  • Verdachtsberichterstattung ohne angemessene Distanzierung

  • Übernahme ungeprüfter Informationen aus sozialen Medien

  • Narrative Ausschmückungen, die zu unwahren Tatsachenbehauptungen führen

  • Darstellung von Vermutungen als feststehende Tatsachen

Schmähkritik bei wahren Aussagen

Auch bei wahren Aussagen kann das Persönlichkeitsrecht verletzt werden, wenn die Darstellung den Charakter einer Schmähkritik annimmt. Schmähkritik liegt vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies kann zivilrechtliche Ansprüche begründen und ist auch strafrechtlich als Beleidigung (§ 185 StGB) relevant.

Wahrheitsbeweis und Beweislast

Bei übler Nachrede kann sich der Beschuldigte durch Wahrheitsbeweis rechtfertigen - er muss die volle Wahrheit der Behauptung beweisen. Bei Verleumdung ist der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen. Die Beweislast für das Wissen um die Unwahrheit liegt bei der Staatsanwaltschaft.

6. Medienrechtliche Einwilligungen und Urheberrecht

Die Veröffentlichung von Originaldokumenten, Bildern und anderen geschützten Werken in True-Crime-Formaten erfordert stets die Einholung der erforderlichen Einwilligungen.

Einwilligungspflichtige Materialien:

  • Bilder und Fotos von Personen, insbesondere von Opfern und Angehörigen

  • Originaldokumente wie Gerichtsakten, Tonaufnahmen und private Nachrichten

  • Ermittlungsakten und Tatortfotos

Für die Veröffentlichung bedarf es grundsätzlich der ausdrücklichen, freiwilligen und informierten Einwilligung der Betroffenen oder Rechteinhaber. Ohne diese Einwilligung ist die Nutzung unzulässig und kann mittels Ansprüche die aus dem Persönlichkeitsrecht oder dem Urheberrecht erwachsen, angegriffen werden.

Besondere Hinweise:

  • Bei Minderjährigen ist die Einwilligung der Erziehungsberechtigten erforderlich

  • Einwilligungen sollten schriftlich dokumentiert werden

  • Einwilligungen können widerrufen werden, was bei längerfristigen Produktionen zu beachten ist

Praktische Empfehlung:


Vor der Nutzung von geschützten Materialien sollten alle erforderlichen Einwilligungen eingeholt und dokumentiert werden, um rechtliche Risiken zu vermeiden.

7. Ethik und journalistische Selbstkontrolle

Ethische Standards und journalistische Selbstkontrolle sind für True-Crime-Formate von besonderer Bedeutung, da diese mit sensiblen Themen und verletzlichen Personen umgehen.

Der Pressekodex als ethisches Fundament

Der Pressekodex bildet das zentrale Regelwerk für ethisches journalistisches Handeln. Für True-Crime-Formate sind die Grundsätze der Wahrhaftigkeit, Sorgfalt, des Persönlichkeitsschutzes und der Unschuldsvermutung besonders relevant. Das Verbot der Sensationsberichterstattung und diskriminierender Darstellungen bildet weitere wichtige Leitlinien.

Kontrollinstanzen

Der Deutsche Presserat überwacht die Einhaltung des Pressekodex und kann bei Verstößen Sanktionen von Hinweisen bis zu öffentlichen Rügen verhängen. Für audiovisuelle Medien sind die Landesmedienanstalten zuständig, die den Medienstaatsvertrag überwachen und härtere Sanktionen bis hin zu Sendungsverboten verhängen können. Jeder kann kostenlos Beschwerden beim Presserat einreichen. Bei True-Crime-Formaten betreffen diese häufig Verletzungen des Opferschutzes oder der Persönlichkeitsrechte.

Ethische Grundprinzipien

Die Menschenwürde bildet die oberste Grenze - alle Beteiligten müssen respektvoll behandelt werden. Verhältnismäßigkeit erfordert die Abwägung zwischen Informationsinteresse und Beeinträchtigung der Betroffenen. Transparenz über Arbeitsweise und Quellen sowie Verantwortung für Folgen der Berichterstattung sind weitere zentrale Prinzipien. 

Besondere Herausforderungen bei True-Crime

True-Crime-Formate bewegen sich im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Interesse, Unterhaltung und Respekt vor den Betroffenen. Ethische Konflikte entstehen durch dramaturgische Ansprüche versus sachliche Darstellung, kommerzielle Interessen versus Opferrespekt und Aufklärungsanspruch versus Persönlichkeitsschutz. 

Präventive Maßnahmen

Medienunternehmen sollten interne ethische Guidelines entwickeln, regelmäßige Schulungen durchführen, externe Beratung bei kritischen Fällen einsetzen und Feedback-Systeme etablieren. Die Einrichtung von Ethik-Kommissionen oder Ethik-Beauftragten kann helfen, ethische Standards zu überwachen. 

Die Selbstkontrolle durch den Presserat zeigt: Bisher wurde nur eine einzige Rüge gegen ein True-Crime-Format ausgesprochen, was sowohl die relative Neuheit der Problematik als auch die Notwendigkeit proaktiver Selbstkontrolle verdeutlicht.

8. Best Practice für True-Crime-Formate:

1. Fakten klar von Fiktion trennen: Spekulationen, Hypothesen und dramaturgische Elemente müssen deutlich als solche  gekennzeichnet werden. Nur belegte Tatsachen dürfen als feststehend dargestellt werden.

2. Rechtslage klären: Vor Produktion prüfen, ob Verfahren abgeschlossen sind, welche Urteile vorliegen und ob neue Entwicklungen ein aktuelles Interesse begründen. Ein Aktualisierungsgrund muss vorliegen - Jubiläen reichen nicht aus.

3. Betroffene anonymisieren: Ohne ausdrückliche Zustimmung sind alle Beteiligten zu anonymisieren. Dies umfasst Initialen statt Vollnamen, verpixelte Bilder und das Weglassen identifizierender Details. Besonders vorsichtig sollte bei Opfern und Angehörigen vorgegangen werden.

4. Keine Spekulationen oder Vorverurteilungen: Verdachtssprache konsequent verwenden (“wird beschuldigt”, “soll beteiligt gewesen sein”). Bei laufenden Verfahren die Unschuldsvermutung beachten und verschiedene Versionen fair darstellen.

5. Juristische Beratung einholen: Bei sensiblen oder strittigen Fällen, unklaren Rechtsfragen oder innovativen Formaten ist externe Rechtsberatung unerlässlich. Präventive Beratung ist günstiger als nachträgliche Schadensbegrenzung.

Zentrale Erfolgsfaktoren:

  • Professionelle journalistische Standards auch bei neuen Medienformaten

  • Ethische Reflexion über das rechtlich Zulässige hinaus

  • Kontinuierliche Weiterbildung zu rechtlichen Entwicklungen

  • Transparenz über Arbeitsweise und Grenzen

Fazit:
 True-Crime-Formate tragen gesellschaftliche Verantwortung. Nur durch die konsequente Beachtung rechtlicher Vorgaben und ethischer Standards kann das Genre seine Glaubwürdigkeit bewahren und seinen informativen Auftrag erfüllen, ohne die Rechte der Betroffenen zu verletzen.

gulden röttger rechtsanwälte

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Karsten Gulden, LL.M. Medienrecht

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