Urteil zum Recht auf Vergessenwerden LG Hamburg Az.: 324 O 456/14
Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage
Das erste Urteil in Sachen Recht auf Vergessenwerden, das unsere Kanzlei erstritten hat, liegt nunmehr vor.
Trotz der Klageabweisung erfreut uns das Urteil in vielerlei Hinsicht, da einige Kernaussagen getroffen wurden, die für künftige Klageverfahren herangezogen werden können, wenn es um die Durchsetzung des Rechts auf Vergessenwerden in Deutschland geht.
Ausgangslage:
Geklagt hatte ein Rentner, der einen Link samt Inhalt und aus der Google - Suchergebnisliste entfernen lassen wollte. Die Google Germany GmbH und die Google Inc. sollten es unterlassen, bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine Ergebnislinks zu verbreiten, die auf einen Beitrag verweisen. Die Inhalte der entsprechenden Berichterstattung waren auf Sachverhalte gerichtet, die sich vor dem Jahr 2000 ereignet hatten.
Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab, da im konkreten Einzelfall keine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers vorläge. Im Einzelnen hierzu weiter unten im Text.
Zur Zulässigkeit der Klage:
Das LG Hamburg stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest. Einer der größten Herausforderungen bei der Klageerstellung war die Überlegung, wie die Klageanträge zu formulieren sind. Mangels vergleichbarer Klageverfahren betraten wir hier Neuland. So entschieden wir uns letzten Endes für einen Unterlassungsantrag in der Hauptsache, den das Gericht für zulässig erachtete.
Das LG Hamburg zu den Klageanträgen:
„Die Klageanträge sind ausreichend bestimmt. Er enthält durch die Bezugnahme auf das jeweilige Suchergebnis und die Bezeichnung des jeweiligen Links eine hinreichende Konkretisierung.“
Weiter wurde klargestellt, dass deutsches Recht Anwendung findet, will man das Recht auf Vergessenwerden gegen Google in Deutschland durchsetzen.
Anwendbares Recht:
„Anwendbar ist deutsches materielles Recht. Der maßgebliche Erfolgsort liegt in Deutschland. Der Kläger lebt in Deutschland und verfolgt hier auch seine ehrenamtlichen Tätigkeiten.“
Passivlegitimation:
Im vorliegenden Fall sah das LG Hamburg die Google Germany GmbH nicht in der Haftung. Das Gericht sah es nicht erwiesen an, dass die Google Germany GmbH
„selbst über Zwecke und Mittel der Verarbeitung der streitgegenständlichen Daten entscheide oder diese für sich selbst erhebe, verarbeite oder nutze oder dies durch andere im Auftrag vornehme lasse.“
Das klingt nachvollziehbar. Wie kamen wir auf die Idee, eine Haftung der Google Germany GmbH zu sehen? Ganz einfach: Aufgrund der Erfahrungen in der täglichen Praxis im Umgang mit Google seit dem EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden im Mai 2014. Die Google Germany GmbH war von Beginn an in die Kommunikation mit der Google Inc. bei Beanstandungen eingebunden.
Das Gericht war anderer Auffassung:
„Eine Haftung der Google Germany GmbH ist nicht zu erkennen. Das Impressum nennt allein die Google Inc. als Anbieterin der entsprechenden Dienste.“
„Auch aus der Entscheidung des EuGH vom 13.05.2014 (C-131/12) ergibt sich kein anderes Ergebnis. Nach dieser Entscheidung haftet nur die Google Inc., die Tochtergesellschaft Google Spain wird in dem Urteil zur Begründung der Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie auf ein US-amerikanisches Unternehmen herangezogen (vgl. LG Berlin).“
Sehr erfreulich ist hingegen die Feststellung, dass die Google Inc. grundsätzlich haftet, wenn eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt.
Das LG Hamburg zur Störerhaftung der Google Inc.
Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 2, 1004 BGB analog iVm Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG (Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht)
„Es kommt grundsätzlich eine Verantwortlichkeit aufgrund der Störerhaftung in Betracht, wenn eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt. Dabei handelt es sich um einen offenen Tatbestand, bei dem die Feststellungen einer rechtswidrigen Verletzung eine ordnungsmäße Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voraussetzt. Im Streitfall hat eine Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der einen Seite und dem Recht der Beklagten auf Kommunikationsfreiheit auf der anderen zu erfolgen.
Der Kläger wird durch die Anzeige des Suchergebnisses und die Verlinkung auf die entsprechende Berichterstattung bei Eingabe seines Namens in die Suchfunktion nicht rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Soweit der Kläger darauf abstellt, dass die Berichterstattung bereits länger zurück liegt und Ereignisse aus der Vergangenheit thematisiert, ist nicht erkennbar, dass damit ein entsprechendes Informationsinteresse entfallen ist. Auch wenn kein tagesaktueller Bezug besteht, berühren die in der Berichterstattung angesprochenen Themen einen Bereich, dem ein geradezu „fortwährendes“ öffentliches Interesse zukommt.
Das Suchergebnis wird bei Eingabe des Namens des Klägers angezeigt, somit geht von der Verbreitungshandlung eine hohe Breitenwirkung aus. Da die verlinkte Berichterstattung jedoch zulässig ist (…), führt diese durch die Suchmaschine erzeugte Breitenwirkung zu keinem anderen Ergebnis in dem vorliegenden Sachverhalt.“
Wir haben die Klage zudem auf einen datenschutzrechtlichen Unterlassungsanspruch gestützt. Diesen lehnte das Gericht vorliegend mit der Begründung ab, dass keine unzulässige Datenerhebung oder Speicherung durch Google stattgefunden habe. Das LG vermischt in seiner Argumentation jedoch die datenschutzrechtlichen Aspekte mit den Überlegungen zum Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dies wird in nachfolgenden Verfahren zu thematisieren sein.
Unterlassungsanspruch gem. §§ 823, 1004 BGB analog unter Berücksichtigung der Vorschriften des BDSG
„Es müsste ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Betroffenen bestehen. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf die vorgenannten Ausführungen zu der Abwägung zwischen Allgemeinem Persönlichkeitsrecht des Klägers sowie der Kommunikationsfreiheit der Beklagten.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Heranziehung der Erwägungen aus dem Urteil des EuGH (wird zitiert)
Aus dieser Entscheidung folgt nicht, dass die Interessen des Betroffenen in jedem Fall die Interessen des Suchmaschinenbetreibers bzw. der Öffentlichkeit überwiegen, sondern dass es Konstellationen geben kann, die ein überwiegendes Interesse der breiten Öffentlichkeit an den Suchergebnislisten und den verlinkten Informationen rechtfertigen. Die hier vorzunehmende Gesamtschau der abwägungsrelevanten Faktoren führt dazu, dass von einem überwiegenden Interesse des Klägers nicht ausgegangen werden kann.
Die mit den Suchergebnissen verlinkten Informationen betreffen nicht Aspekte des Privatlebens, sonder das nach außen gerichtete ehrenamtliche Engagement des Klägers und zudem Themen von allgemeine und großem Interesse. Der Kläger wendet sich im Rahmen seiner Tätigkeit an die Öffentlichkeit, er gibt Interviews, äußert sich öffentlich zu Gesetzen und wirbt für politische Unterstützung.“
Kritik:
Die Kammer beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, ob der Inhalt des verlinkten Beitrages rechtmäßig ist und führt dafür schulbuchmäßig eine Abwägung zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und den Kommunikationsfreiheiten auf der anderen Seite durch. Dabei kommt das Gericht zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass die Berichterstattung rechtmäßig ist. Hierauf kommt es bei der Feststellung, ob ein Recht auf Vergessenwerden besteht, jedoch nicht an.
Nach dem eindeutigen Urteil des EuGH kommt es jedoch bei der Frage eines datenschutzrechtlichen Entfernungsanspruchs gerade nicht auf die Rechtmäßigkeit des Inhalts an. Es besteht ein eigenständiger datenschutzrechtlicher Entfernungsanspruch, wenn die Kriterien vorliegen, die der EuGH in seinem Urteil aufgestellt hat. Darauf geht die Kammer erst am Ende der Entscheidungsgründe ein, zitiert die einschlägige Rechtsprechung und kommt mit wenigen Sätzen zum gleichen Ergebnis wie bei der bereits getroffenen (presserechtlichen) Abwägung. Die Kriterien des EuGH werden nicht konkretisiert, insbesondere wird der Kläger als dogmatisch als öffentliche Person betrachtet, weil er sich im Rahmen seines ehrenamtlichen Engagements an die Öffentlichkeit wendet.
Das Haupt-Kriterium des EuGH – nämlich der Zeitablauf (Beitrag ist aus dem Jahre 1998) – wird in der Entscheidung kaum aufgegriffen. Das Gericht geht lapidar davon aus, dass „auch wenn tagesaktueller Bezug“ besteht, die in der Berichterstattung angesprochenen Themen einen Bereich berühren, dem ein geradezu „fortwährendes öffentliches Interesse“ zukommt.
Fazit:
Das Urteil des LG Hamburg beseitigt einige Unsicherheiten in der prozessualen Umsetzung des Rechts auf Vergessenwerden, befasst sich jedoch mit den Kriterien des EuGH, wann denn nun ein Recht auf Vergessenwerden vorliegt, nur in unzulänglicher Weise. Vielleicht wollte die Kammer hier nicht der Vorreiter sein.
Klar ist bereits jetzt, dass künftige Fälle nicht schematisch abgeurteilt werden können, sondern eine Betrachtung der Interessen im Einzelfall erfolgen muss. Überwiegt nun der Schutz der informationellen Selbstbestimmung oder doch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder vielleicht das Kommunikationsinteresse der Medien?
Wir sind sehr auf den Ausgang und die Entscheidungsgründe unserer weiteren Klageverfahren zum Recht auf Vergessenwerden gespannt (Frankfurt am Main, Wiesbaden, Dortmund).
Karsten Gulden
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator
Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator