Jude und Antisemit Beleidigungen im Strafrecht?
Persönlichkeitsrecht|FAQ
„Du Jude!“ – „Du Antisemit!“ = zwei Rechtsverstöße?
Die kurze Frage ist nicht leicht zu beantworten.
Das geschützte Rechtsgut der §§ 185 ff StGB stellt die Ehre dar. Darunter ist nach dem dualistischen Ehrbegriff ein personaler und sozialer Geltungswert einer Person zu verstehen. Es geht um den auf Personenwürde gegründeten, jedem Menschen von Verfassungs wegen zustehenden Geltungsanspruches. Daraus folgt der Anspruch, nicht unverdient herabgesetzt zu werden - als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG).
Eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne impliziert die Kundgabe der Missachtung bzw. Nichtachtung und somit eine Aussage mit wertmindernden Gehalt. Ob die Bezeichnung „Jude“ auch darunter aufzufassen ist, konnte nach früherer Rechtsprechung nicht eindeutig mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden, sondern war stets unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln.
„Jude“ als Beleidigung
So konnte nach dem BGH (NJW 1956, 312) die Behauptung, ein anderer sei Jude zwar keine üble Nachrede, aber eine Beleidigung sein. Für das Vorliegen der üblen Nachrede mangelt es der Äußerung, jemand habe einen bestimmten Glauben, objektiv an der Eignung zur „Verächtlichmachung“ oder der „Herabwürdigung“. Betrachtet man bei einer Äußerung über die jüdische Abstammung aber den Zusammenhang und die gegebenen Umstände, kann eine Beleidigung vorliegen. Denn diese begeht im Allgemeinen, wer einer anderen Person ungerechtfertigt seine Missachtung kundgibt. Im Unterschied zu § 186 StGB kommt es für die Anwendung des § 185 StGB also nicht auf die objektive Eignung der Äußerung an, sondern den erkennbaren Sinn, den der Täter seiner Äußerung beilegt.
Äußerungsgehalt entscheidend
Auch das LG Tübingen stellte im Juli 2012 (Urteil vom 18.07.2012, Az.: 24 Ns 13 Js 10523/11) bei einer Beleidigung auf den Äußerungsgehalt unter der Berücksichtigung der Begleitumstände ab. Allerdings sei der Ehrbegriff „normativ“ und es käme dabei nicht primär auf einen bloßen Beleidigungswillen des Äußernden oder auf die subjektiv empfundene Klärung des Erklärungsempfängers an, sondern es müsse vielmehr die Bedeutung der Äußerung objektiv unter Betrachtung der Wertung der Rechtsordnung gewürdigt werden. Damit stellen wertneutrale Äußerungen, auch wenn sie von der erklärenden Person nach ihrer eigenen Wertung als „beleidigend“ gemeint sind, trotzdem keine Beleidigung im Sinne des §185 StGB dar.
„homosexuell“ als Beleidigung
Das Urteil, in welchem es darum ging, ob die Äußerung, dass jemand „homosexuell“ sei, unter den Beleidigungstatbestand fällt, begründete das LG wie folgt:
„Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einem Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. Insoweit verhält es sich nicht anders wie mit sonstigen Bezeichnungen einer sexuellen Präferenz wie „bisexuell“ oder „heterosexuell“ oder mit Bezeichnungen einer religiösen Zugehörigkeit wie Katholik oder Jude - und zwar völlig unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger der betreffenden Personengruppe angehört.“
Weiterhin führt das Gericht aus, dass Äußerungen, die sich nicht nur auf diese Bezeichnung beschränken, sondern eine zusätzliche Herabwürdigung ausdrücken, als Beleidigung gewertet werden können.
So sagt auch das OLG Celle (Urteil vom 18. Februar 2003 - 22 Ss 101/02), dass die Bezeichnung einer Person als „Jude“ und (zusätzlich) in Verbindung der behaupteten Zugehörigkeit zu einer „fremdvölkischen Minderheit“ wegen der Assoziation zu nationalsozialistischen Rassenlehre grundsätzlich zur Herabwürdigung geeignet ist.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums, wobei stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen ist. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest, sondern er wird auch von dem sprachlichen Kontext in dem die Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Das erinnert stark an die Argumentation des BGH, jedoch ist hier, die zweite Bezeichnung - die Zugehörigkeit zu einer „fremdvölkischen Minderheit“ - mit einbezogen. Es kommt damit auf die Würdigung des dem mit der Äußerung im Zusammenhang stehenden zweiten Teils an.
„Antisemit“ strafbar?
Ob eine Bezeichnung als „Antisemit“ ähnlich geeignet ist, den Tatbestand des § 185 StGB zu erfüllen, ist schwierig zu beantworten. Lediglich das LG Frankfurt (Urteil vom 12.1.2006, Az.: 2-03 O 485/05) sagt aus, dass diffamierende Aussagen, die einen Dritten in den Bereich rechten Gedankenguts rücken, rechtswidrig sein können. In dem streitigen Fall waren sowohl Kläger als auch der Beklagte jüdischer Abstammung. Ob aber allein die Bezeichnung eines Juden durch einen anderen Juden als Antisemiten im Rahmen einer Gesamtabwägung die Voraussetzungen einer Schmähkritik erfüllt, wurde in diesem Fall leider nicht diskutiert. Hier ergab die Ermittlung des Sinns der getätigten sarkastischen Bezeichnung als „Kapazität der angewandten Judenphobie“, dass der Kläger offenbar als vermeintlich besonders großer Antisemit gekennzeichnet und erheblich diskreditiert werden sollte. Damit war hier von einer Ehrverletzung auszugehen.
So kann auch der Begriff „ Nazi“ nach dem BVerfG (Kammerbeschluss vom 19.12.1991 - BvR 327/91) schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehaltes von einer historischen Terminologie bis zu einem substanzlosen Schimpfwort (etwa im Verlaufe einer Wirtshausauseinandersetzung oder auf dem Fußballplatz) unter bestimmten Begleitumständen als ehrverletzend aufgefasst werden. Dies wird auch vom OLG Frankfurt (Urteil vom 20.12.1995 - 17 U 202/94) bestätigt.
Fazit:
Es kommt im Ergebnis ganz stark auf die Umstände an, unter denen die Äußerungen getätigt wurden. Daher kann sowohl die Äußerung „Jude“ als auch die Äußerung „Antisemit“ beleidigenden Charakter haben und damit strafbar sein, wenn es dem Äußernden nur um die Herabsetzung der angesprochenen Person ging.
Isoliert betrachtet dürfte die reine Äußerung der Worte jedoch nicht für eine Strafbarkeit ausreichen. Daneben wäre die Frage zu beantworten, ob die Äußerungen geeignet sind, die Persönlichkeitsrechte der angesprochenen Person zu verletzen.
Karsten Gulden
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator
Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator