Interview mit Physiker Roland Wiesendanger
Ein Interview im Magazin „Cicero“ mit dem Physiker Roland Wiesendanger sorgt derzeit für Schlagzeilen. Es enthält schwerwiegende Vorwürfe gegen den deutschlandweit bekannten Virologen Christian Drosten. Der Tagesschau zufolge beschuldigte Wiesendanger Drosten, die Öffentlichkeit bei der Frage nach dem Ursprung des Coronavirus "gezielt getäuscht" zu haben. Außerdem betreibe Drosten eine "Verschwörung" und führe "die ganze Medienwelt, die ganze Politik in die Irre".
Im Zentrum steht die sogenannte „Laborthese“, der zufolge das Coronavirus nicht ganz natürlichen Ursprungs sei, sondern eine menschgemachte Genveränderung aufweise. Wiesendanger nimmt Anstoß daran, dass Drosten und andere namenhafte Virologen nach einer Telefonkonferenz zu diesem Verdacht zu Pandemiebeginn „ihre Meinung um 180 Grad gedreht“ hätten.
Drosten: Vorwürfe „ehrabschneidend“
Schlicht wissenschaftlich zerpflückt worden sei die These im kollegialen Gespräch, erklärte Drosten dem Medienbericht zufolge und nannte demnach die Vorwürfe „ehrabschneidend“. Er macht also eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts geltend. Weitere Details zum Streit und angeblichen Belegen Wiesendangers für seine Behauptung finden sich in diesem Medienbericht.
Nun ist Wiesendanger selbst Wissenschaftler, der sich grundsätzlich auf die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG berufen kann. Denn die Wissenschaftsfreiheit steht jedem zu, der eigenverantwortlich in wissenschaftlicher Weise tätig ist. Auf den ersten Blick könnte das einer zivilrechtlichen Klage zuwiderlaufen. Laut Bundesverfassungsgericht schützt die Wissenschaftsfreiheit „die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“. Die Verfassungsrichter knüpfen also nicht zentral an der Person des Forschers als solchem an, sondern wollen vielmehr sein wissenschaftliches Wirken vollumfassend schützen – einschließlich der öffentlichen Diskussion seiner wissenschaftlichen Meinungen.
Die Wissenschaftsfreiheit: Kein Freifahrtschein für Polemik
Nur wenn es um Fragen des wissenschaftlichen Wirkens und der Voraussetzungen dafür geht, ist ein Forscher grundrechtlich also besonders geschützt. In allen anderen Bereichen greift nur die Meinungsfreiheit, auf die sich jeder Bürger im öffentlichen Diskurs berufen kann.
Wenn „vorgefassten Meinungen oder Ergebnissen lediglich der Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit“ verliehen wird, dann, so die Rechtsprechung, schützt Art. 5 Abs. 3 GG ebenfalls nicht.
Nun ist nicht klar, wie bewandert ein Nanophysiker mit Fragen der Virologie ist oder nicht. Rechtlich steht unabhängig davon fest: Grenzen werden dann überschritten, wenn der wissenschaftliche Diskurs verlassen wird und es um Tatsachenbehauptungen geht, die nichts mit der Wissenschaft zu tun haben. Wer falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet, die in keinem Zusammenhang zu wissenschaftlicher Arbeit stehen, geschweige denn der eigenen, kann sich weder auf die Wissenschaftsfreiheit noch auf die Meinungsfreiheit berufen.
Innerhalb eines wissenschaftlichen Diskurses kommt es auf die Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse hingegen erstmal nicht an – denn Ziel des Diskurses ist ja gerade die Wahrheitsfindung. Eine wichtige Frage ist also, ob der Physiker selbst zu dem Thema forscht oder sich mit wissenschaftlichen Methoden dem Thema des Ursprungs des Coronavirus genähert hat.
Mit seinen harten Vorwürfen, stellt der Physiker Drostens wissenschaftliche Integrität und seine generelle Aufrichtigkeit in Frage, beeinträchtigt somit zweifelsohne dessen Persönlichkeitsrecht. Allein der Ton der Äußerungen spricht dafür, dass hier der wissenschaftliche Diskurs verlassen wurde.
Die Anschuldigungen auch rechtswidrig sind, wird davon abhängen, wie gut er diese Behauptungen auf Tatsachen zurückführen kann oder gegebenenfalls eigene Forschung ins Feld führen kann.