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Berichterstattung über Straftäter – identifizierende Berichterstattung
ist Namensnennung von Straftätern in den Medien erlaubt?

Veröffentlicht am

Eine Berichterstattung über eine Person als Straftäter hat meist erhebliche Auswirkungen auf das berufliche und private Umfeld der betroffenen Person. Oft hat die Berichterstattung eine Prangerwirkung und führt zu einer öffentlichen (Vor-)Verurteilung. Dabei macht es meist keinen großen Unterschied, ob der Name komplett genannt wird oder identifizierend (Verkürzung des Namens, Angabe des Wohnortes, Beruf) über die Person berichtet wird.

Allgemeines Persönlichkeitsrecht vs. Öffentliches Interesse

Die rechtliche Zulässigkeit der identifizierenden Berichterstattung ist höchst umstritten. Die namentliche Nennung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Abzuwägen ist immer das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person gegenüber dem öffentlichen Interesse an umfassender Berichterstattung. Ein Straftäter wird von der Rechtsprechung regelmäßig als sog. Relative Person der Zeitgeschichte eingestuft, da die Bedeutung des Straftäters für die Öffentlichkeit untrennbar mit seinen Straftaten verknüpft ist.

Maßgeblich für die rechtliche Zulässigkeit ist auch der Zeitpunkt der Berichterstattung über die Straftat.

Berichterstattung im Vorfeld eines Prozesses (Verdachtsberichterstattung)

Bei einer wahrscheinlich verübten Straftat und einem Tatverdacht besteht grundsätzlich ein anzuerkennendes öffentliches Interesse an umfassender Information. Es muss den Medien daher möglich sein, begleitend zu Ermittlungen über bestehende Verdachtsmomente zu berichten. Allerdings müssen Presse und Medien sachlich und nicht vorverurteilend berichten.

 

Journalistische Sorgfaltspflicht

Dabei sind die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht umso größer, je unsicherer der Verdacht ist und je schwerer die erhobenen Vorwürfe gegen die Person ist. Insbesondere ist im Fall der Verdachtsberichterstattung auf Grund des Grundsatzes der Unschuldsvermutung darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Verdacht handelt. Es darf nicht der Eindruck feststehender Tatsachen erweckt werden.

 

Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK)

Inwieweit eine namentliche Nennung bzw. eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist, hängt wie immer von den Umständen des Einzelfalls ab, vgl. insbesondere VG Düsseldorf, 20 L 1781/20, Beschluss vom 14.09.2020. Das Interesse der Öffentlichkeit an umfassender Information ist umso höher zu bewerten, je schwerer die im Raum stehenden Vorwürfe sind. Meist ist in diesem frühen Stadium aber, insbesondere in Anbetracht der Unschuldsvermutung, Zurückhaltung bei der Namensnennung geboten. Allerdings dürfen die Einschränkungen nicht „zensurgleich“ wirken.

 

Berichterstattung im Rahmen eines Gerichtsprozesses

Auch an einer Berichterstattung über die Hauptverhandlung besteht ein grundsätzlich anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit. Deshalb finden Hauptverhandlung und Urteilsverkündung gem. § 169 GVG öffentlich statt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ton- und Bildaufnahmen aus der Hauptverhandlung zulässig sind. Der Angeklagte soll nicht zum „Schauobjekt“ degradiert werden. Ob der Name des Angeklagten genannt werden darf, ist wieder im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden. Der Angeklagte darf in den Berichten jedenfalls nicht übermäßig vorgeführt oder zur Schau gestellt werden.

Wenn der Angeklagte freigesprochen wird, dann hat er das Recht auf Anonymität, also einen Anspruch darauf, in Ruhe gelassen zu werden.

 

Berichterstattung über Straftäter nach beendetem Prozess / Haftentlassung

Auch eine Berichterstattung über länger zurückliegende Straftaten ist grundsätzlich unter den oben dargelegten Voraussetzungen zulässig. Aus dem Umstand, dass die Berichterstattung eine lange zurückliegende Tat betrifft, darf nicht per se auf eine Unzulässigkeit der Berichterstattung geschlossen werden. Auch zurückliegende Straftaten können für die Öffentlichkeit von Interesse bleiben. Selbst die Verbüßung einer Haftstrafe führt nicht dazu, dass über den Betroffenen nicht mehr berichtet werden darf. Die Haftentlassung darf aber grundsätzlich nicht zum Anlass genommen werden, nochmals in aller Tiefe über das Fehlverhalten des verurteilten Täters zu berichten. Dies könnte die Resozialisierung stark gefährden.

Unser Strafrecht sieht jedoch ausdrücklich vor, dass auch (ehemalige) Straftäter wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen:

§ 2 Strafvollzugsgesetz: Aufgaben des Vollzuges

Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

Eine identifizierende Berichterstattung über frühere Taten eines Straftäters bspw. unter Namensnennung  - auch in abgekürzter Form – oder anderer Angaben, die den Straftäter erkennbar machen, kann nach Verbüßung der Haftstrafe unzulässig sein und die Rechte des Verurteilten verletzen.

 

Recht auf Vergessen im Internet - Resozialisierungsinteresse auch gegenüber Google

Mit fortschreitendem Zeitablauf und dem Ablauf der Strafhaft gewinnt das Resozialisierungsinteresse des Täters zunehmend an Gewicht. Dem Straftäter soll eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglicht werden. Hieran anknüpfend kann dem Straftäter ein Recht auf Vergessen zustehen, dass sich auf Sachverhalte im Internet erstreckt. Namensbasierte Suchergebnisse können Jahre nach der Tat in der Regel kein öffentliches Informationsinteresse mehr begründen. So steht auch Straftätern das Recht zu, sich an Google zu wenden, um die Blockierung bzw. Entfernung von Suchergebnissen zu erreichen.

Beispiel eines Falles aus unserer Kanzlei:

Ein ehemaliger Straftäter, der noch seine Freiheitsstraf verbüßte, wurde auf einer Internetseite mit seinem Vornamen und Nachnamen genannt. Ebenso die Tat, die er beging. Die Tat lag bereits Jahre zurück. Durch die Eingabe seines Namens in die Google-Suche wurde die Seite, auf der er genannt wurde, weit oben in den Google-Suchergebnissen sichtbar. Der Mandant wollte, dass sein Name von der Internetseite gelöscht wird, da er fürchtete, kein normnales Leben mehr führen zu können. Das Landgericht Köln verurteilte die Seitenbetreiberin zu Entfernung des Namens, Az. 28 O 388/19, AfP 1/2001, S.87 f.

Dem Kläger steht durch Nennung seines Namens und Alters in dem Bericht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 analog BGB ivm. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.

Die Nennung des Klägers auf der Interntseite stellt einen erheblichen Eingriff in sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR) dar. Die durchzuführende Interessenabwägung war zugunsten des Klägers ausgefallen. Die Berichterstattung macht das frühere Fehlverhalten öffentlich wieder bekannt. 

Das Gericht hob hervor, dass es sich bei der Berichterstattung nicht um ein aktuelles Strafverfahren handelt, da die Strafverfolgung bereits erledigt war. Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinne das Interesse des Täters zunehmende Bedeutung, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben. Hat der Täter die gebotene rechtliche Sanktion erfahren und ist die Öffentlichkeit darüber hinreichend informiert worden, lassen sich wiederholte Eingriffe in das APR nicht ohne weiteres rechtfertigen. Es gilt insoweit auch ein Interesse der Wiedereingliederung. Das Resozialisierungsinteresse bewirke zwar keine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse. Maßgeblich sei stets, in welchem Ausmaß das APR einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters durch die Berichterstattung beeinträchtigt wird. Dabei komme es auch maßgeblich auf die Art und Weise der Darstellung und den Verbreitungsgrad des Mediums an. Fernsehberichterstattung hat in der Regel einen stärkeren Eingriff zur Folge. Ein Öffentlichkeitsinteresse besteht bei erneuter Straffälligkeit oder neuen Tatsachen, die im Zusammenhang mit der Tat aufgetaucht sind.

Im streitgegenständlichen Fall hat die Beklagte keine aktuellen Ereignisse vorgetragen, oder einen Zusammenhang dargestellt, wieso eine erneute Identifizierung des Klägers mit der Tat für die Öffentlichkeit erforderlich erscheint. Die Kammer würdigte das hohe Resozialisierungsinteresse des Klägers, da die Haftstraße zwar noch nicht verbüßt wurde, aber die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nun möglich erscheine. Für die Strafaussetzung zur Bewährung muss für eine günstige Sozialprognose berücksichtigt werden, dass der Kläger eine Arbeitsstelle vorweisen solle. Durch den Wandel im Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber die Bewerber im Internet suchen und dann mit der Tat konfrontiert werden. In diesem Fall wird dem Kläger die Arbeitsplatzsuche nicht unerheblich erschwert. Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich bei dem Angebot der Beklagten um ein Nischenangebot handele, da insoweit die Gefahr der Beeinträchtigung trotzdem besteht.

Die Kammer stellt noch einmal klar, dass eine Kausalität zwischen Bewerbungsabsagen und der Berichterstattung keine Kausalität bestehen muss. Ausreichend sei allein die abstrakte Gefahr.

Die Beklagte könne bspw. trotzdem über das Schicksal der Opfer öffentlich berichten. Dabei sei es aber nicht nötig, eine identifizierende Berichterstattung hinsichtlich der Namen und des Alters der Täter vorzunehmen.

 

Berichterstattung aus dem Gerichtssaal
medienfreundliche Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH)

In kurzer Zeit hat der Bundesgerichtshof (BGH) zum dritten Mal die Rechte der Medien gestärkt. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit der Anonymität und der Stellungnahme des Angeklagten bei der Berichterstattung über Strafverfahren.

Medien haben die wichtige Aufgabe, über Strafverfahren zu berichten. Dies muss jedoch nicht immer anonym geschehen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wie der BGH feststellte. Zudem muss der Angeklagte nicht vor der Berichterstattung über Tatsachen aus dem Gerichtssaal angehört werden. Dies geht aus einem kürzlich veröffentlichten Urteil des BGH hervor (Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21), in dem die Bild-Zeitung gegen einen Kölner Zahnarzt obsiegte.

Die Bild-Zeitung veröffentlichte am 28. Februar 2018 einen Artikel mit der Überschrift „Kölner Zahnarzt ein Millionenbetrüger?“, in dem über den ersten Verhandlungstag gegen den Zahnarzt und weitere Angeklagte berichtet wurde. Die Anklage warf dem Zahnarzt vor, zusammen mit seinem Vater eine GmbH gegründet zu haben, die teure Elektronikgeräte kaufte, aber nicht bezahlte, und diese weiterverkaufte. Zusätzlich gab es weitere Vorwürfe.

Im Artikel wurden vier Daten über den Angeklagten genannt: vollständiger Vorname, abgekürzter Nachname (nur der erste Buchstabe), Alter und Lage der Zahnarztpraxis in der „Kölner Innenstadt“. Die weiteren Angaben zum Verfahren waren korrekt, und es wurde klargestellt, dass es sich zu diesem Zeitpunkt nur um einen Verdacht handelte und Anklage erhoben worden war.

Später wurde der Zahnarzt wegen Betrugs, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Der Zahnarzt fühlte sich durch den Online-Beitrag in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und brachte den Fall vor Gericht. Er argumentierte, dass er durch die veröffentlichten Daten unerlaubt identifizierbar gewesen sei und dass er vor der Veröffentlichung nicht um eine Stellungnahme gefragt worden war. 

Der BGH widersprach dieser Auffassung. Der VI. Zivilsenat entschied, dass die Berichterstattung über den Zahnarzt in Ordnung war. Die Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Zahnarztes mit der Freiheit der Medienberichterstattung fiel zugunsten der Medien aus. Der BGH führte mehrere Gründe an: Es handelte sich um ein besonderes Verfahren, das öffentliches Interesse weckte, und die Anklage war von einem Gericht zugelassen worden. Der Angeklagte war nur für einen „beschränkten Kreis“ erkennbar.

Der BGH ließ offen, wann die Identifizierbarkeit einen „beschränkten Kreis“ verlässt und ob die Bild-Zeitung angesichts der Bedeutung des Verfahrens nicht sogar mit vollem Namen hätte berichten dürfen.

Auch sonst war der Artikel nach Ansicht des BGH rechtmäßig. Es wurde deutlich, dass es sich um eine Anklage handelte, über die noch entschieden werden musste, und es gab keine Vorverurteilung. Der Zahnarzt hatte eine hervorgehobene gesellschaftliche Stellung, die eine Berichterstattung ermöglichte. Eine Stellungnahme des Angeklagten zu den Vorwürfen sei nicht erforderlich, da es sich bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung nicht mehr um Verdachtsberichterstattung handle. Somit war die Berichterstattung über den Zahnarzt zulässig.

Dies ist die dritte wichtige Entscheidung des VI. Zivilsenats zur Verdachts- und Gerichtsberichterstattung innerhalb weniger Monate. Nach den Urteilen vom 16. November 2021 (Az. VI ZR 1241/20) und 22. Februar 2022 (Az. VI ZR 1175/20) zeigt sich eine medienfreundliche Linie des BGH.

Besonders begrüßenswert sind die Ausführungen zur Identifizierbarkeit und dazu, dass eine Stellungnahme des Angeklagten nicht erforderlich ist. Dass jemand vom Freundes- und Bekanntenkreis identifiziert werden kann, reicht nicht aus, um eine allgemeine Erkennbarkeit anzunehmen. Der BGH stellte auch klar, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht für Berichte aus laufenden Hauptverhandlungen gelten, solange sie sich auf die dort verhandelten Tatsachen konzentrieren.

Eine Anfrage an den Betroffenen würde die oft tagesaktuelle Gerichtsberichterstattung erheblich erschweren. Der BGH geht zu Recht davon aus, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten überwiegt. Angeklagte können jederzeit gegenüber den Medien Stellung zu den Vorwürfen nehmen.

Die Überlegungen des BGH, dass es sich um einen Fall „leichterer Kriminalität“ handelt, erscheinen angesichts einer fünfjährigen Haftstrafe fraglich. Solche Fälle stärken die Medienberichterstattung weiter.

Fazit zur Behandlung von Straftätern durch Presse und Medien

Die rechtliche Zulässigkeit der namentlichen Berichterstattung über Straftäter in den Medien und auf Internetseiten kann nicht pauschal beantwortet werden. Es hängt immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

Allgemein muss das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vom öffentlichen Interesse an einer umfassenden Berichterstattung abgewogen werden. Zur Rechtfertigung einer namentlichen Nennung muss die Öffentlichkeit konkret an der betroffenen Person ein berechtigtes Interesse haben.

Dabei spielen die Bedeutung und der Einfluss des Betroffenen, die Umstände, unter denen die Person in die Öffentlichkeit kam, die Frage, ob die Person selbst im Öffentlichen Leben steht und natürlich die Schwere und die Art der Tat, für die Abwägung eine maßgebliche Rolle.

Ganz wichtig ist es, dem Gericht ein absolut authentisches Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Das Gericht muss verstehen, dass der ehemalige Straftäter geläutert ist und einen Lebenswandel vollzogen hat. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich, wie bereits mehrere Fälle zeigen, die wir für unsere Mandanten erfolgreich zum Ende geführt haben.

Auch Straftäter sind Menschen und haben ein Recht auf einen Neuanfang.

Ansprechpartner

Karsten Gulden

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator

Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator

[email protected]
+49-6131-240950

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