Gerichtsberichterstattung
Wann sind Presseberichte über Strafverfahren zulässig?
Berichterstattungen über Strafverfahren und Straftäter führen oft zu Ausgrenzungen, Stigmatisierungen und beruflichen Ruinen.
Öffentliche Vorverurteilungen durch Presseberichte können schwere Schäden zu Lasten der Betroffenen verursachen. Dabei macht es meist keinen großen Unterschied, ob der Name komplett genannt wird oder identifizierend (Verkürzung des Namens, Angabe des Wohnortes, Beruf) über die Person berichtet wird.
Auf der anderen Seite haben Presse und Medien das Recht und auch die Pflicht, über Gerichtsverfahren zu berichten, um die Öffentlichkeit zu informieren und die Verfahren auch zu kontrollieren.
Wir helfen sowohl Verlagen als auch Betroffenen, dieses Spannungsfeld im Einzelfall rechtlich einzuordnen und finden Lösungen, damit sowohl die Rechte der Betroffenen geschütz werden, Presse und Medien ihre Aufgabe erfüllen und die Öffentlichkeit informieren können.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht vs. Öffentliches Interesse
Die rechtliche Zulässigkeit der identifizierenden Berichterstattung ist höchst umstritten. Die namentliche Nennung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Abzuwägen ist immer das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person gegenüber dem öffentlichen Interesse an umfassender Berichterstattung. Ein Straftäter wird von der Rechtsprechung regelmäßig als sog. Relative Person der Zeitgeschichte eingestuft, da die Bedeutung des Straftäters für die Öffentlichkeit untrennbar mit seinen Straftaten verknüpft ist.
Maßgeblich für die rechtliche Zulässigkeit ist auch der Zeitpunkt der Berichterstattung über die Straftat.
Berichterstattung im Vorfeld eines Prozesses (Verdachtsberichterstattung)
Bei einer wahrscheinlich verübten Straftat und einem Tatverdacht besteht grundsätzlich ein anzuerkennendes öffentliches Interesse an umfassender Information. Es muss den Medien daher möglich sein, begleitend zu Ermittlungen über bestehende Verdachtsmomente zu berichten. Allerdings müssen Presse und Medien sachlich und nicht vorverurteilend berichten.
Berichterstattung im Ermittlungsverfahren
keine Vorverurteilung
Während der Ermittlung und auch nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft darf die Berichterstattung nicht vorverurteilend sein. Die Namensnennung und auch die Veröffentlichung von Bildnissen des vermeintlichen Täters sind nur in Ausnahmefällen zulässig.
Beispiel für eine zulässige Ausnahme:
- an der Identität des Verdächtigten oder Beschuldigten besteht ein öffentliches Informationsinteresse
denkbarer Fall:
Der Umweltminister wird beobachtet, wie er ein Fass mit der Aufschrift "Altöl" in seinem Garten auskippt. Auf die Anzeige einer Umweltschutzorganisation nimmt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Minister auf.
Hier wäre die Namensnennung und auch die Bildnisveröffentlichung zulässig.
Aber Vorsicht: Eine Vorverurteilung darf nicht erfolgen. Der Minister sollte vorab um konkrete Stellungnahme gebeten werden, was er in seinem Garten ausgekippt hat (Frage: Was befand sich in dem Fass, welches Sie ausgekippt haben?).
Bei Kindern und Jugendlichen ist zu empfehlen, eine identifizierende Berichterstattung im Stadium der Ermittlungen zu unterlassen.
Ausnahme: es geht um Verbrechen / Terror
Pressebericht über Hauptverhandlung im Strafverfahren
Verdachtsberichterstattung
Der BGH hatte im Jahr 2022 über einen Fall zu urteilen, in dem identifizierend über einen Straftäter berichtet wurde. Dort stellt der BGH wichtige Grundsätze auf, die auf andere Fälle angewendet werden können, wenn es um die Frage geht, ob ein Pressebericht über ein Gerichtsverfahren zulässig ist.
Der BGH, VI ZR 95/21, Urteil vom 31.Mai 2022:
- "Die Presse darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien…
- "Berichterstattung über eine Straftat, ist zu berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist…"
- "Die Verletzung der Rechtsordnung begründet grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter…" das öffentliche Informationsinteresse ist umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise, Schwere oder wegen anderer Besonderheiten vonder gewöhnlichen Kriminalität abhebt (vgl. Senat, Urteile vom 18. Dezember 2018 - VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881 Rn. 13; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20)"
- Die Beklagte musste vor Veröffentlichung des Artikels keine Stellungnahme des Klägers zu 1 einholen - dies ergibt sich zwar nicht daraus, dass bei Zulassung der Anklage der hinreichende Tatverdacht durch das Gericht geprüft wurde, nachdem dem Angeschuldigten (§ 157 StPO) gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO rechtliches Gehörgewährt worden war
- Allerdings beschränkt sich die Berichterstattung der Beklagten über den gegen den Kläger zu 1 bestehenden Tatverdacht auf die Wiedergabe dessen,was Gegenstand und Inhalt der öffentlichen Hauptverhandlung war.
- Eine solche Verbreitung darf die Presse zur Wahrnehmung berechtigter Interessen zumindest in der Regel für erforderlich halten, ohne eigene Recherchen über den Wahrheitsgehalt der Tatvorwürfe anzustellen und in diesem Rahmen eine Stellungnahme des Angeklagten einzuholen
Der Fall zeigt, dass die Berichterstattung über Gerichtsverfahren - insbesondere Strafverfahren - von unserer Verfassung gewollt ist. Presse und Medien müssen sich aber streng an die Tatsachen und Umstände halten, die im Verfahren behandelt werden. Nur dann ist die Berichterstattung zulässig.
Journalistische Sorgfaltspflicht
Dabei sind die Anforderungen an die journalistische Sorgfaltspflicht umso größer, je unsicherer der Verdacht ist und je schwerer die erhobenen Vorwürfe gegen die Person ist. Insbesondere ist im Fall der Verdachtsberichterstattung auf Grund des Grundsatzes der Unschuldsvermutung darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Verdacht handelt. Es darf nicht der Eindruck feststehender Tatsachen erweckt werden.
Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK)
Inwieweit eine namentliche Nennung bzw. eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist, hängt wie immer von den Umständen des Einzelfalls ab, vgl. insbesondere VG Düsseldorf, 20 L 1781/20, Beschluss vom 14.09.2020. Das Interesse der Öffentlichkeit an umfassender Information ist umso höher zu bewerten, je schwerer die im Raum stehenden Vorwürfe sind. Meist ist in diesem frühen Stadium aber, insbesondere in Anbetracht der Unschuldsvermutung, Zurückhaltung bei der Namensnennung geboten. Allerdings dürfen die Einschränkungen nicht „zensurgleich“ wirken.
Berichterstattung im Rahmen eines Gerichtsprozesses
Auch an einer Berichterstattung über die Hauptverhandlung besteht ein grundsätzlich anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit. Deshalb finden Hauptverhandlung und Urteilsverkündung gem. § 169 GVG öffentlich statt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ton- und Bildaufnahmen aus der Hauptverhandlung zulässig sind. Der Angeklagte soll nicht zum „Schauobjekt“ degradiert werden. Ob der Name des Angeklagten genannt werden darf, ist wieder im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden. Der Angeklagte darf in den Berichten jedenfalls nicht übermäßig vorgeführt oder zur Schau gestellt werden.
Wenn der Angeklagte freigesprochen wird, dann hat er das Recht auf Anonymität, also einen Anspruch darauf, in Ruhe gelassen zu werden.
Berichterstattung nach beendetem Prozess
Auch eine Berichterstattung über länger zurückliegende Straftaten ist grundsätzlich unter den oben dargelegten Voraussetzungen zulässig. Aus dem Umstand, dass die Berichterstattung eine lange zurückliegende Tat betrifft, darf nicht per se auf eine Unzulässigkeit der Berichterstattung geschlossen werden. Auch zurückliegende Straftaten können für die Öffentlichkeit von Interesse bleiben. Selbst die Verbüßung einer Haftstrafe führt nicht dazu, dass über den Betroffenen nicht mehr berichtet werden darf.
Dennoch kann eine Berichterstattung über frühere Taten eines Straftäters, die eine Namensnennung - auch in abgekürzter Form – oder allgemein auf Grund der genannten Angaben die dargestellte Person mühelos identifizierbar macht einschließt, das Persönlichkeitsrecht eines Straftäters verletzen.
Dürfen Journalisten amtliche Dokumente aus einem Gerichtsverfahren veröffentlichen?
353d StGB (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) besagt, dass die Veröffentlichung von Anklageschriften, gerichtlichen Verfügungen oder Schriftsätzen vor deren öffentlicher Verhandlung untersagt ist. Das Ziel ist es, den Prozess nicht zu beeinflussen und die Rechte der Beteiligten zu wahren.
Arne Semsrott, der Chef der Transparenzplattform "FragDenStaat", wurde deswegen wegen der frühzeitigen Veröffentlichung von Gerichtsbeschlüssen verurteilt. Das Berliner Landgericht erklärte, dass diese Veröffentlichung gegen § 353d des Strafgesetzbuches verstößt, der das Veröffentlichen bestimmter Dokumente in laufenden Verfahren verbietet.
Recht auf Vergessen im Internet - Resozialisierungsinteresse auch gegenüber Google
Mit fortschreitendem Zeitablauf und dem Ablauf der Strafhaft gewinnt das Resozialisierungsinteresse des Täters zunehmend an Gewicht. Dem Straftäter soll eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglicht werden. Hieran anknüpfend kann dem Straftäter ein Recht auf Vergessen zustehen, dass sich auf Sachverhalte im Internet erstreckt. Namensbasierte Suchergebnisse können Jahre nach der Tat in der Regel kein öffentliches Informationsinteresse mehr begründen. So steht auch Straftätern das Recht zu, sich an Google zu wenden, um die Blockierung bzw. Entfernung von Suchergebnissen zu erreichen.
Beispiel eines Falles aus unserer Kanzlei:
Ein ehemaliger Straftäter, der noch seine Freiheitsstraf verbüßte, wurde auf einer Internetseite mit seinem Vornamen und Nachnamen genannt. Ebenso die Tat, die er beging. Die Tat lag bereits Jahre zurück. Durch die Eingabe seines Namens in die Google-Suche wurde die Seite, auf der er genannt wurde, weit oben in den Google-Suchergebnissen sichtbar. Der Mandant wollte, dass sein Name von der Internetseite gelöscht wird, da er fürchtete, kein normnales Leben mehr führen zu können. Das Landgericht Köln verurteilte die Seitenbetreiberin zu Entfernung des Namens, Az. 28 O 388/19, AfP 1/2001, S.87 f.
Dem Kläger steht durch Nennung seines Namens und Alters in dem Bericht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 analog BGB ivm. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu.
Die Nennung des Klägers auf der Interntseite stellt einen erheblichen Eingriff in sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR) dar. Die durchzuführende Interessenabwägung war zugunsten des Klägers ausgefallen. Die Berichterstattung macht das frühere Fehlverhalten öffentlich wieder bekannt.
Das Gericht hob hervor, dass es sich bei der Berichterstattung nicht um ein aktuelles Strafverfahren handelt, da die Strafverfolgung bereits erledigt war. Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinne das Interesse des Täters zunehmende Bedeutung, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben. Hat der Täter die gebotene rechtliche Sanktion erfahren und ist die Öffentlichkeit darüber hinreichend informiert worden, lassen sich wiederholte Eingriffe in das APR nicht ohne weiteres rechtfertigen. Es gilt insoweit auch ein Interesse der Wiedereingliederung. Das Resozialisierungsinteresse bewirke zwar keine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse. Maßgeblich sei stets, in welchem Ausmaß das APR einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters durch die Berichterstattung beeinträchtigt wird. Dabei komme es auch maßgeblich auf die Art und Weise der Darstellung und den Verbreitungsgrad des Mediums an. Fernsehberichterstattung hat in der Regel einen stärkeren Eingriff zur Folge. Ein Öffentlichkeitsinteresse besteht bei erneuter Straffälligkeit oder neuen Tatsachen, die im Zusammenhang mit der Tat aufgetaucht sind.
Im streitgegenständlichen Fall hat die Beklagte keine aktuellen Ereignisse vorgetragen, oder einen Zusammenhang dargestellt, wieso eine erneute Identifizierung des Klägers mit der Tat für die Öffentlichkeit erforderlich erscheint. Die Kammer würdigte das hohe Resozialisierungsinteresse des Klägers, da die Haftstraße zwar noch nicht verbüßt wurde, aber die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nun möglich erscheine. Für die Strafaussetzung zur Bewährung muss für eine günstige Sozialprognose berücksichtigt werden, dass der Kläger eine Arbeitsstelle vorweisen solle. Durch den Wandel im Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber die Bewerber im Internet suchen und dann mit der Tat konfrontiert werden. In diesem Fall wird dem Kläger die Arbeitsplatzsuche nicht unerheblich erschwert. Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich bei dem Angebot der Beklagten um ein Nischenangebot handele, da insoweit die Gefahr der Beeinträchtigung trotzdem besteht.
Die Kammer stellt noch einmal klar, dass eine Kausalität zwischen Bewerbungsabsagen und der Berichterstattung keine Kausalität bestehen muss. Ausreichend sei allein die abstrakte Gefahr.
Die Beklagte könne bspw. trotzdem über das Schicksal der Opfer öffentlich berichten. Dabei sei es aber nicht nötig, eine identifizierende Berichterstattung hinsichtlich der Namen und des Alters der Täter vorzunehmen.
Fazit zur Behandlung von Straftätern durch Presse und Medien
Die rechtliche Zulässigkeit der namentlichen Berichterstattung über Straftäter in den Medien und auf Internetseiten kann nicht pauschal beantwortet werden. Es hängt immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Allgemein muss das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vom öffentlichen Interesse an einer umfassenden Berichterstattung abgewogen werden. Zur Rechtfertigung einer namentlichen Nennung muss die Öffentlichkeit konkret an der betroffenen Person ein berechtigtes Interesse haben.
Dabei spielen die Bedeutung und der Einfluss des Betroffenen, die Umstände, unter denen die Person in die Öffentlichkeit kam, die Frage, ob die Person selbst im Öffentlichen Leben steht und natürlich die Schwere und die Art der Tat, für die Abwägung eine maßgebliche Rolle.
Ganz wichtig ist es, dem Gericht ein absolut authentisches Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Das Gericht muss verstehen, dass der ehemalige Straftäter geläutert ist und einen Lebenswandel vollzogen hat. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich, wie bereits mehrere Fälle zeigen, die wir für unsere Mandanten erfolgreich zum Ende geführt haben.
Auch Straftäter sind Menschen und haben ein Recht auf einen Neuanfang.
Karsten Gulden
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator
Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator