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Verdachtsberichterstattung in Presse und Medien
Wann und wie darf über einen Verdacht berichtet werden?

Veröffentlicht am

Als erfahrener Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht stehe ich Verlagen, Journalisten sowie Medienschaffenden zur Seite und unterstütze sie in allen Fragen rund um das Presserecht. Mit einem klaren Fokus auf die tägliche Praxis in der Medienlandschaft und einer Spezialisierung auf das Thema Verdachtsberichterstattung, biete ich fundierte Beratung und Vertretung in diesem sensiblen Bereich. Ebenso engagiere ich mich für Betroffene von Berichterstattung, die mit rechtlichen Fragen konfrontiert sind. Erfahren Sie mehr darüber, wann Verdachtsberichterstattung vorliegt, welche rechtlichen Grenzen zu beachten sind und wie ich Ihnen als kompetenter Ansprechpartner zur Seite stehen kann.

gulden röttger rechtsanwälte

Ansprechpartner
Karsten Gulden, LL.M. Medienrecht

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht &
Gesellschafter von gulden röttger rechtsanwälte

06131 240950
karsten.gulden@ggr-law.LÖSCHEN.com

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Wir helfen vor und nach einer Verdachtsberichterstattung

Wir sind Ihre kompetenten Partner sowohl vor als auch nach einer Verdachtsberichterstattung.

Für Verlage und Medien prüfen wir im Vorfeld geplante Berichterstattungen und stehen Ihnen bei rechtlichen Fragen zur Seite. Im Nachgang verteidigen wir Sie gegen Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Klagen, die Unterlassung, Schadensersatz, Gegendarstellung oder Entschädigung fordern können. Unsere langjährige Beratung und Vertretung erstreckt sich dabei auf einen der größten Verlage Deutschlands.

Auf der anderen Seite unterstützen wir Personen und Unternehmen, die Opfer unzulässiger Verdachtsberichterstattung geworden sind. Wir setzen uns aktiv für die Unterlassung der unzulässigen Berichterstattung ein und kümmern uns um die Schadensregulierung.

Dabei schützen wir Ihre

  • persönliche Ehre
  • Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht
  • Ihre wirtschaftlichen Belange
  • Ihr Recht am Unternehmen
  • Ihren geschäftlichen Ruf

In vielen Fällen vergeht nur eine kurze Zeitspanne zwischen dem ersten Kontakt mit unseren Mandanten und unserer Intervention gegenüber der Presse. Wir stehen Ihnen schnell und effektiv zur Seite, um Ihre rechtlichen Interessen zu wahren.

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Wann liegt eine Verdachtsberichterstattung im rechtlichen Sinne vor?

Eine Verdachtsberichterstattung liegt vor, wenn in einem Bericht, Tatsachenbehauptungen über ein mögliches moralisches, soziales oder juristisches Fehlverhalten verbreitet werden. Es steht noch nicht fest, ob derjenige, über den berichtet wird, die vorgeworfene Tat begangen hat. Es besteht lediglich eine Verdachtslage. Die Medien können die Wahrheit des Vorwurfs zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht beweisen, berichten aber trotzdem über den Vorwurf. Dies kann fatale Folgen für den Betroffenen haben.

Medien dürfen grundsätzlich über solche Vorgänge berichten, die noch nicht bewiesen sind und lediglich ein Verdacht besteht (Presseprivileg).  Da eine solche Berichterstattung schwere Folgen haben kann, müssen Presse und Medien jedoch einige Dinge beachten, damit die Verdachtsberichterstattung zulässig ist und der Bericht nicht die Rechte der Personen verletzt, über die berichtet wird.

Daher müssen Journalisten hier strenge Regeln einhalten, damit der Bericht über einen Verdacht zulässig ist.

Beispiele: sexueller Missbrauch, Vorteilsnahme, Schmiergelder, Korruption, millionenschwerer Betrug, Steuerhinterziehung, ärztliche Behandlungsfehler

  • es wird über Strafverfahren oder Ermittlungsverfahren berichtet

  • es kommt zu Vorwürfen erheblichen Fehlverhaltens (insb. sexuelles Fehlverhalten)

  • es werden Vorwürfe rechtswidrigen Verhaltens erhoben (es muss sich dabei nicht um die Begehung einer Straftat handeln)

Wichtig: Kommt es zu Vorwürfen eines erheblichen Fehlverhaltens, muss nicht zwangsläufig auch der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens erhoben werden (Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben). Mit anderen Worten: Auch wenn "nur" über soziales oder moralisches Fehlverhalten berichtet wird, sind die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung einzuhalten.

 

YouTube Video: Verdachtsberichterstattung - was ist erlaubt ❓
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Verdachtsberichterstattung - Was ist erlaubt? Was muss beachtet werden?

Wann ist eine Verdachtsberichterstattung zulässig?

Eine Verdachtsberichterstattung ist zulässig, wenn objektiv und sachlich über einen aktuellen Verdacht berichtet wird und vor der Berichterstattung mit erhöhter Sorgfalt recherchiert wurde. 

Checkliste zur Verdachtsberichterstattung: 

  1. Presse und Medien müssen ihre Behauptung auf einen „Mindestbestand an Beweistatsachen“ stützen – sie brauchen konkrete Anhaltspunkte, die den Verdacht stützen.
  2. Der Betroffene darf nicht vorverurteilt werden.
  3. Der Betroffene muss Gelegenheit haben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen - Anhörung des Betroffenen (grds. zwingend:die Gelegenheit zur Stellungnahme).
  4. Argumente zur Verteidigung des Betroffenen müssen vorgetragen werden und auch entlastende Tatsachen zugunsten des Beschuldigten
  5. Keine bewusst einseitige und verfälschende Darstellung - Stichwort: "Sensation".
  6. Die Öffentlichkeit muss ein hohes Interesse an dem Thema haben, über das berichtet wird („gravierendes Gewicht“ - Missstände) – es darf also nicht um unwichtige Kleinigkeiten gehen.
  7. "Kennzeichnung" als Verdacht - es muss dem Leser klar werden, dass lediglich über einen Verdacht berichtet wird.

Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Berichtersattung meist zulässig. Aber auch nur dann! Vorsicht: Solche Fälle werden immer im Einzelfall beurteilt. Insbesondere die Anhörung des Betroffenen wird in der Praxis oft missachtet. Der Betroffene muss mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert werden mit der Bitte um konkrete Stellungnahme. Ist der Betroffene nicht zu erreichen, müssen die Ermittlungsbehörden oder Dritte befragt werden, die sich zu dem Verdacht äußern können. Ist auch dies nicht möglich, müssen Presse und Medien zwingend eine Güterabwägung vornehmen, ob sie den Verdacht dennoch veröffentlichen wollen. Im Zweifel ist die Berichterstattung dann nur zulässig, wenn über fundamentale Missstände berichtet wird, vgl. LG Frankenthal 6 O 289/23, Urteil vom 16.01.2024 - (gulden röttger Rechtsanwälte als Prozessbevollmächtigte für den Medienverlag) - (noch nicht rechtskräftig am 29.01.2023).

Merke: Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren rechtfertigt allein keine identifizierende Berichterstattung!

Wird lediglich der Anklagevorwurf wahrheitsgemäß in der Presse dargestellt, dann führt dies nicht zu einer Vorverurteilung und auch eine vorherige Stellungnahme muss nicht eingeholt werden (RA K.Gulden: besser ist es aber dennoch, wenn man als Journlaist auf der sicheren Seite sein will), BGH, Urteil vom 31.05.2022 - VI ZR 95/21.

Empfehlung für Journalisten vor der Verdachtsberichterstattung

Journalisten sollten immer die Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht allein nicht aus. Es sollte auch stets geprüft werden, ob die Verdachtsmomente, über die berichtet werden, im richtigen Kontext dargestellt werden. Es sollte auch beschrieben werden, wie der Betroffene auf die Konfrontation der Presse reagiert hat und auch entlastende Angaben sollten gemacht werden. Die Stellungnahme des Betroffenen sollte nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern der Standpunkt des Betroffenen sollte in der Berichterstattung auch sichtbar werden, vgl. auch BGH, Urteil vom 16.11.2021 - VI ZR 1241/20, AfP 2/2022 S.142.

Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechte

Eine der grundlegenden Aufgaben von Presse und Medien besteht darin, Verfehlungen und Missstände aufzuzeigen, die für die Gesellschaft von Relevanz sein können. Dabei müssen die Presse und Medien nicht immer zuwarten, bis der Nachweis erbracht wird, dass etwas tatsächlich so ist, wie gemutmaßt wurde. Bereits der Verdacht kann ausreichen, um hierüber zu berichten. Es liegt allerdings auf der Hand, dass es zu schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen kann, wenn sich der Verdacht im Nachhinein als unbegründet erweist. Das Gerücht bleibt dann meist in der Welt.
Der Bundesgerichtshof hat für diese Fälle daher Bewertungsmaßstäbe entwickelt, nach denen sich Zulässigkeit beziehungsweise Unzulässigkeit eines Berichts feststellen lässt, damit eine Berichterstattung über strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder ähnliche Verdachtsberichterstattungen und mit Unsicherheiten belastete Sachverhalte nicht grundsätzlich rechtswidrig ist.

Die Rechtsprechung fasst es in dieser Formel zusammen:

„Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden darf, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf“.

Presse und Medien können sich heirauf aber nur berufen, wenn sie vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung sorgfältig über den Wahrheitsgehalt der Behauptung recherchiert haben, vgl. BGH Urteil v. 16.02.2016 - VI ZR 367/15.

Vorsicht: Diese strengen Grunsätze gelten auch, wenn über ein Ermittlungsverfahren berichtet wird! Daher mein Tipp: Immer den Beschuldigten vor der Berichterstattung selbst kontaktieren und zu den konkreten Vorwürfen, über die berichtet werden soll, befragen.

Wird über den Verdacht der Begehung einer Straftat berichtet, die aber nicht sicher feststeht (Verdachtsberichterstattung), stellt sich für den Betroffenen in einer sehr belastenden Situation die Frage, unter welchen Voraussetzungen dies unterbunden werden kann.

Wie muss recherchiert werden?
Regeln der Verdachtsberichterstattung

Je schwerer der Verdacht, über den berichtet werden soll, umso sorgfältiger müssen Journalisten recherchieren (Beispiele: Verdacht der Korruption, sexuelles Fehlverhalten). Jede Aussage, jedes Dokument, jedes "Beweismittel" muss gegenrecherchiert werden. Wenn Belastendes verbreitet werden solll, dann muss auch Entlastendes berücksichtigt werden. Eine Vorverurteilung ist in allen Fällen zu vermeiden. 

Darf über Strafverfahren und Gerichtsverfahren berichtet werden?

Über Strafverfahren und auch nicht rechtskräftige Verurteilungen darf berichtet werden, vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023 - 4 W 23/23. In dem genannten Verfahren haben wir einen Presseverlag vertreten, der über ein Strafverfahren berichtete, das in einem Urteil endete. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung war das Urteil noch nicht rechtskräftig. Das war zulässig, weil der Verlag im Vorfeld gut recherchierte und ausgewogen berichtete.

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft reicht allein nicht aus, um eine Verdachtsberichterstattung zu legitimieren. Presse und Medien müssen daher eigene Recherchen betreiben und die Verdachtslage überprüfen. Das gilt auch, wenn es um Verdachtsberichterstattung über Ermittlungen ausländischer staatlicher Sicherheitsbehörden geht, BGH Urteil vom 20. Juni 2023, VI ZR 262/21 – Armenische Mafia

Gerichtsverfahren sind grundsätzlich von öffentlichem Interesse. Hierüber darf die Presse und die Medien daher auch grundsätzlich berichten. 
Die Berichterstattung über Strafverfahren ist dabei von besonderer Bedeutung. Allerdings muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob der Name des Angeklagten genannt werden und identifizierend über ihn berichtet werden darf. Grundsatz: Je schwerer die Straftat, umso größer ist das öffentliche Interesse, umso eher darf auch identifizierend berichtet werden, BGH, Urteil vom 31.05.2022 - VI ZR 95/21.

Muss der Betroffene trotz Dementi befragt werden?

In vielen Fällen erwarten Journalisten maximal ein Dementi von dem Betroffenen. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich die Betroffenen gar nicht zurückmelden, wenn sie zu bestimmten Vorwürfen befragt werden. Dennoch gilt auch hier: Dem Betroffenen sollte stets die Möglichkeit zu einer Stellungnahme eingeräumt werden, auch wenn ein Dementi sehr wahrscheinlich ist.

Eine Anhörung ist nur dann verzichtbar, wenn sich der Betroffene zu den konkreten Vorwürfen bereits konkret an anderer Stelle geäußert hat oder unmissverständlich mitgeteilt hat, dass er sich nicht äußern wird. Hiervon sollten sich die Journalisten aber besser selbst überzeugen.

Merke: Auch ein Dementi kann die Gefahr einer Vorverurteilung für den Betroffenen verringern!

Tipp für Journalisten: Lieber einmal zu viel fragen, als einmal zu wenig!

Wie sollten sich Betroffene im Falle einer Verdachtsberichterstattung verhalten?

Wenn eine Verdachtsberichterstattung bevorsteht, sollten Betroffene Medienanfragen beantworten, da sie auf diese Weise die Berichterstattung beeinflussen können. Presse und Medien müssen entlastende Informationen in folgenden Beitrag nennen, sobald sie Kenntnis davon haben oder haben müssten.
Keinesfalls sollten Medienanfragen einfach nur abgewimmelt werden. Das verärgert Journalisten, die auch nur ihrer Arbeit nachgehen.
Wir raten an, die Journalisten um eine schriftliche Anfrage zu bitten. Dies hat den Vorteil, dass sich die Betroffenen in Ruhe auf die Beantwortung vorbereiten und konzentrieren können. Zudem können sich die Betroffenen professioneller Hilfe bedienen und den Fall presserechtlich überprüfen lassen. 
Je nach Fall ist es anzuraten, zutreffende Fragen durch entsprechende Aussagen zu bestätigen. Die entsprechenden Aussagen können vorbereitet werden durch die Formulierung von Pressemitteilungen. So können Fragen bereits im Vorfeld formuliert und beantwortet werden. In vielen Fällen ist es zu empfehlen, die Entscheider im eigenen Haus, die Abteilungsleiter und eventuell auch die Geschäftspartner über den Fall zu informieren.
Des weiteren kann es in einigen Fällen ratsam sein, ein presserechtliches Informationsschreiben auf den Weg zu bringen, um eine falsche Berichterstattung bereits im Vorfeld zu verhindern.

Haben wir es mit einer unrechtmäßigen Verdachtsberichterstattung zu tun, so ist den Verlagen anzuraten, die rechtsverletzenden Inhalte zu entfernen. Den Betroffenen ist anzuraten, schnellstmöglich mit dem Verlag in Kontakt zu treten und auf den Verstoß hinzuweisen.

dringlichkeitsschädliches Zuwarten

Wichtig: Betroffene, die zu lange warten Ihre Rechte gegenüber dem veröffentlichenden Medium geltend zu machen, können wichtige Rechtsmittel "verlieren". So hat das Landgericht Frankenthal in einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem wir einen Verlag vertreten haben, geurteilt, dass kein Grund für die Einleitung eines Eilverfahrens bestehe, wenn der Betroffene der Berichterstattung erst drei Wochen nach Erscheinen des Artikels eine Abmahnung gegen den publizierenden Verlag ausspricht, LG Frankenthal, 6 O 289/23 Urteil vom 16.01.2023 - noch nicht rechtskräftig (29.01.2023). Dies gelte auch dann, wenn der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung noch innerhalb der vier-Wochen-Frist gestellt wird (Kenntnisnahme des Artikels bis zur Einreichung des Antrags).

Keine Verdachtsberichterstattung bei Meinungsäußerungen
Abgrenzung Tatsachen von Meinungen

Eine Verdachtsberichterstattung liegt nicht vor, wenn lediglich eine Meinung geäußert wird. Wird eine Meinung über einen erwiesenen Sachverhalt geäußert, so ist dies immer zulässig. Dann liegt keine Verdachtsberichterstattung vor, da keine Tatsachen behauptet und verbreitet werden. 

Die Rechtsprechung ist hier eindeutig:

… eine Verdachtsberichterstattung liegt nicht bei Werturteilen, sondern nur bei Tatsachenbehauptungen vor, wenn eine identifizierbare Person einer schweren Verfehlung verdächtigt ist, über die berichtet wird, ohne dass sich das berichtete Ereignis bereits sicher nachweisen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016 - VI ZR 250/13 (KG), NJW 2017, 482; OLG Stuttgart, Urt. v. 8.7.2015 – 4 U 182/14; BGHZ 68, 331 = NJW 1977, 1288 [1289] = GRUR 1977, 674; OLG Hamburg, AfP 2008, 404, 406).

Berühmte Beispiele von Verdachtsberichterstattungen

Verdachtsberichterstattungen sind notwendig, um Missstände in der Gesellschaft aufzudecken. Die Medien würden Ihren Zweck verfehlen, wenn sie von einer Berichterstattung absehen würden, nur weil der Beweis noch nicht erbracht wurde, dass sich auch tatsächlich alles so, wie berichtet, zugetragen hat.

Beispiele bekannter Verdachtsberichterstattungen:

  • Lindemann / Rammstein - "me-too"-Vorwürfe
  • Luke Mockridge
  • Watergate-Affäre USA
  • Bespitzelung von Mitarbeitern - Deutsche Telekom AG und DeutscheBahn AG
  • Durchsuchungen bei der Deutschen Bank AG
  • Blackrock - Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung
  • deutsche Automobilhersteller im Zusammenhang mit der Abgas-Manipulation
  • New York Times - Bericht über Verbindungen eines deutschen Unternehmers zur organisierten Kriminalität in Russland
  • Misshandlung von Patientinnen durch einen prominenten Psychologen

So groß der Missstand auf den ersten Blick auch erscheinen mag: Eine Vorverurteilung darf in keinem Fall stattfinden, es muss ein Mindesbestand an Beweistatsachen vorliegen, der Betroffen sollte angehört und im Anschluss sollte sachlich berichtet werden.

Nachtrag und Ergänzung einer ursprünglich zulässigen Verdachtsberichterstattung

Es kommt vor, dass sich der Verdacht, über den (zulässig) berichtet wurde, im Nachhinein als unbegründet erweist. In diesen Fällen kann der Betroffene von dem Verlag / Medium einen Nachtrag verlangen, mit dem Hinweis, dass der Verdacht über den berichtet wurde, nicht mehr aufrechterhalten wird, BGH Urteil vom 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14.

Der Nachtrag darf aber nicht dazu führen, dass die Presse ihre gesamte Berichterstattung entfernen muss, so das BVerfG, Beschluss vom 02.05.2018, Az. 1 BvR 666/17:

…Der Nachtrag muss inhaltlich darauf beschränkt sein, in knapper Form das Ergebnis der Ermittlungen mitzuteilen und darf dem Pressorgan nicht abverlangen, eine eigene Stellungnahme abzugeben.

Das Bundesverfassungsgericht verfolgt mittlerweile eine vermittelnde Lösung und ist der Auffassuung, dasss von der Presse nur eine

"sachlich distanzierte Mitteilung geänderter Umstände abverlangt"

werden könne, BVerfG AfP 2020, 302 - "Verdachtsberichterstattung im Online-Archiv".

Der Presse ist daher zu empfehlen, einen klarstellenden Nachtrag zu veröffentlichen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Betroffene tatsächlich unschuldig ist bzw. nichts an dem Verdacht dran ist. Diesen Nachtrag sollten Betroffene auch einfordern aus Gründen der digitalen Rehabilitation.

Erweist sich der Verdacht im Nachhinein als unbegründet muss im Hinblick auf die bereits publizierte Erstmitteilung zweifelsfrei erkennbar sein, dass es sich nicht um eine aktuelle Berichterstattung handelt. Wenn der alte Beitrag also weiterhin unverändert online abrufbar ist, kann die Unterlassung der weiteren Verbreitung verlangt werden.

 

no index - Name in Suchmaschinen auffindbar
Deindexierung Google und Co.

Überholte Altmeldungen können über Suschmaschinen wie Google weiterhin gefunden werden, wenn der Name des Betroffenen in die Suchmaschine eingegeben wird. Ist die Berichterstattung veraltet und besteht kein öffentliches Informationsinteresse mehr an dem Bericht, können Betroffene verlangen, dass technische Maßnahmen egriffen werden um sicherzustellen, dass der jeweilige Bericht bei einer Namenssuche nicht mehr auftaucht. 

Dürfen Gerüchte verbreitet werden?

Gerüchte unterscheiden sich von einem Verdacht dadurch, dass keine oder nur marginale tatsächliche und überprüfbare Anhaltspunkte vorliegen. Da die Ungesichertheit der Information im Grunde feststeht, ist die Haftung der Medien bei der Verbreitung von Gerüchten strenger, als bei der Verdachtsberichterstattung.

Der BGH (Callgirl I BGH NJW 1963, 665; intime Beziehungen BGH AfP 1988,34) und auch der EGMR (NJW 2010, 751 - Standard Verlagsgesell.mbH/Österreich) stellen klar, dass die Verbreitung eines Gerüchts aus der Privatsphäre des Betroffenen grundsätzlich unzulässig ist, wenn kein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Das Privat- oder Eheleben Prominenter stellt per se kein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit dar.

Zudem muss zwischen der Existenz des Gerüchts und dem Inhalt des Gerüchts unterschieden werden. Die Verbreitung eines Gerüchts ist allenfalls dann zulässig, wenn sich Presse und Medien ausdrücklich und klar von dem Inhalt distanzieren. Es muss alles vermieden werden, was dem Zuschauer oder Leser den Eindruck vermitteln könnte, dass an dem Gerücht schon was dran sei.

Klatsch und Tratsch-Gerüchte

Werden Gerüchte aus dem Bereich "Klatsch und Tratsch" durch Presse und Medien verbreitet, dann haften sie hierfür - selbst dann, wenn sie sich ausdrücklich von dem Inhalt distanzieren. Der Hintergrund ist, dass der Durchnittsleser und Zuschauer davon ausgehen darf, dass an dem Gerücht "was dran ist", da Presse und Medien sonst sicherlich nicht hierüber berichten würden.

Beispiele unzulässiger Gerüchte:

  • ein Fussballtrainer steige mit mehreren Spielerfrauen ins Bett 
  • katholischer Geistlicher hat Beziehung zu einer verheirateten Frau

Üble Nachrede und Verleumdung durch gezielte Fragestellungen?

Auch durch suggestivae Fragen kann ein Verdacht verbreitet werden.

Beispiel: Aufruf über Soziale Medien, dass sich alle Frauen melden sollen, die ebenfalls Opfer von xy geworden sind (obwohl der Sachverhalt noch nicht feststeht)

Aufgeworfene Fragen können Verdachtsmomente begründen, die den Betroffenen verleumden oder ihn abträglich erscheinen lassen. Fragen können so formuliert sein, dass sie Personen in ihrer persönlichen Ehre verletzen. Gerade für Journalisten kann es daher hilfreich sein zu wissen, wann eine Frage den Rahmen des Zulässigen verlässt oder welche Formulierungen sich im Grenzbereich befinden. Auch Fragestellungen können Verdachtslagen entstehen lassen. Ist das der Fall, gelten auch bei Fragen die strengen Maßstäbe der Verdachtsberichterstattung. Weitere Infos zur rechtlichen Einordnung von Fragen stehen unten in den FAQ auf dieser Seite.

 

Welche Rechte stehen den Betroffenen zu, wenn ihre Rechte durch die Verdachtsberichterstattung verletzt werden?
Rechtliche Möglichkeiten

Werden die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen rechtswidrig durch die Berichterstattung verletzt, so bestehen verschiedene Ansprüche, die geltend gemacht werden können, um die Verletzungen zu kompensieren - bis hin zu einer Genuugtung in Form einer Geldentschädigung (in besonders schwerwiegenden Fällen).

Wichtig für die Betroffenen sind folgende Ansprüche, die gegen Verlage und Journalisten geltend gemacht werden können:

  • Unterlassung- und Löschungsansprüche
  • sowie Berichtigungen
  • Gegendarstellungen
  • und Schadensersatzansprüche

In allen Fällen wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt sein. In der Praxis muss im Einzelfall das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gegen die Pressefreiheit des berichtenden Mediums und dem Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung abgewogen werden. Welchen Interessen ist der Vorrang einzuräumen? Eine Frage, die nur im jeweiligen Einzelfall beantwortet werden kann.

Auch für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung in der Berichterstattung

Im Gegensatz zu Berichten über tatsächlich verurteilte Straftäter ist bei Berichten über einen Tatverdacht in höherem Umfang Zurückhaltung geboten, da für den Betroffenen die Unschuldsvermutung gilt. Denn auch der Bericht über einen Verdacht erzeugt bereits eine Verknüpfung einer konkreten Person mit einer Straftat, die geeignet ist, deren Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen, z.B. dadurch, dass ihr soziales Umfeld davon erfährt.

Merke: Die Unschuldsvermutung gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung!

keine Vorverurteilung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung

Die Berichterstattung in Presse und Medien sollte keine vorschnellen Vorverurteilungen enthalten. Es sollte ausgewogen berichtet werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Presse Verdachtslagen nicht selbst auch bewerten darf. So ist es zulässig, wenn Presse und Medien ihrer Meinungs Ausdruck verleihen und darstellen, für wie wahrscheinlich es für Presse und Medien erscheint, dass der Verdacht, der sich gegen eine Person richtet, auch begründet ist, vgl auch OLG Hamburg 20.06.2023 - 7 U 13/22.

Fausformel: Je erdrückender die Indizienlage, desto mehr darf sich die Presse aus dem Fenster lehnen.

Stigmatisierungen, Ausgrenzungen und Anprangerungen gehören nicht in eine rechtmäßige Berichterstattung, auch wenn die Vorwürfe schwer wiegen, wie bspw. in der MeToo-Berichterstattung.

Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft reicht allein nicht aus!
Einstellung des Ermittlungsverfahrens - Grund angeben

Eine entscheidende Stellung kommt außerdem dem Verhalten der Staatsanwaltschaft zu. Leitet sie ein Ermittlungsverfahren ein, so kann dies regelmäßig ein öffentliches Interesse an der Tat und der Person des Beschuldigten herbeiführen.

Aber Vorsicht: Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens allein entbindet die Presse nicht von ihrer grundsätzlichen Pflicht, auch den Beschuldigten oder Angeklagten anzuhören, bevor über das Strafverfahren berichtet wird.

Auch die Staatsanwaltschaften müssen vorsichtig sein, wenn sie selbst eine Pressemeldung herausgeben und genau prüfen, welche Informationen Sie der Öffentlichkeit über den Beschuldigten zukommen lassen. 

Das Interesse der Öffentlichkeit wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Schwere und Begehungsweise von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Auch der Betroffene selbst kann ein besonderes öffentliches Interesse begründen, etwa durch seine gesellschaftliche Stellung und sein bisheriges Verhalten in der Öffentlichkeit. Hingegen zeigt die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, dass die Staatsanwaltschaft der Tat kein besonderes öffentliches Interesse beimisst und dementsprechend auch das Interesse einer Berichterstattung sinkt.

Einstellung eines Ermittlungsverfahrens

Dauert die Berichterstattung an, ist die Presse gut beraten, auch die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens zu erwähnen und den Grund für die Einstellung des Verfahrens nennen.

So hat der BGH entschieden, dass die bloße Erwähnung der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nicht ausreichend sei, wenn Presse und Medien den entlastenden Umstand verschweigen, dass das Ermittlungsverfahrens mangels hinreichendem Tatverdachts eingestellt wurde,  BGH Urteil vom 20. Juni 2023, VI ZR 262/21 – Armenische Mafia.

Ab dem Moment der Einstellung des Verfahrens kann der Betroffene häufig geltend machen, dass jedenfalls nun sein Interesse dasjenige an der Information der Öffentlichkeit überwiegt. Ähnlich ist die Interessenlage, wenn die Staatsanwaltschaft von der Berichterstattung erfährt und bewusst ein Ermittlungsverfahren überhaupt nicht einleitet.

Grundsatz: je älter die Berichte, umso geringer das öffentliche Interesse

Das öffentliche Interesse an alten Presseberichten sinkt desto weiter ab, je mehr Zeit seit der Erstellung der Berichte vergangen ist, insbesondere dann, wenn keine weiteren Vorwürfe gegen den Betroffenen erhoben wurden. Dann besteht die Möglichkeit, dass er die alten Artikel aus dem Internet löschen lassen kann. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass ein Interesse der Öffentlichkeit auch daran bestehen kann, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren. Es kann unzumutbar sein kann, wenn ein Presseunternehmen einmal ins Netz gestellte Informationen immer wieder auf seine Rechtmäßigkeit kontrollieren müsste. Betroffenen, die sich gegen alte Berichte wenden wollen ist die Kontaktaufnahme zur Presse zu empfehlen. In vielen Fällen hat die Presse selbst kein Interesse mehr an den Beiträgen und eine "Entschärfung", Schwärzung des Namens, Herausnahme aus dem Index oder gar eine komplette Löschung kann verhandelt werden.

Fazit
Was darf Verdachtsberichterstattung?

Verdachtsberichterstattungen sind im Zeitalter der digitalen Medien mit besonderer Vorsicht zu genießen, aber dennoch unverzichtbar. Journalisten ist anzuraten, sämtliche Sorgfaltsmaßstäbe anzuwenden, um irreversible Schäden zu vermeiden. Ist der Bericht erst einmal in der Welt, so lassen sich die Schäden meist nicht dadurch beseitigen, dass der originäre Beitrag gelöscht wird. Gerüchte und Skandale verbreiten sich über die sozialen Medien besonders gut und schnell. Je schwerer der Vorwurf, desto mehr Beweistatsachen sollten vorliegen. Dies sollte stets im Vorfeld bedacht werden. Abzuraten ist den Redaktionen, in einen "Belastungseifer" zu verfallen, was besonders für die "me-too"- Berichterstattungen gilt. Objektive Sachlichkeit ist hier das oberste Gebot.

Auf der anderen Seite sollten auch die Betroffenen mitwirken und eine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben - gerne nach entsprechender anwaltlicher Überprüfung, damit Emotionen außen vor bleiben. Dadurch können bereits unseriöse Berichterstattungen verhindert werden. Weiter ist darauf zu achten, dass Verdachtsberichterstattungen über (mögliche) Straftäter in der Regel solange zulässig sind, wie auch von staatlicher Seite gegen  Betroffene ermittelt wird. Aber Vorsicht: Es gilt die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung, möge der Tatvorwurf noch so brisant sein. In der Art und Weise wie dann berichtet wird, ist Zurückhaltung geboten. Erhärtet sich der Verdacht nicht, so kann der Betroffene die Berichte nach einer gewissen Karenzzeit bestenfalls löschen lassen, wen Presse und Medien kooperieren. Ein Nachtrag oder eine Ergänzung seitens der Presse, dass "an der Sache nichts dran war", kann ebenso geboten sein - sowohl aus rechtlichen, wie auch aus ethischen Gründen.

FAQ Verdachtsberichterstattung

Betroffene einer Berichterstattung sollten immer vorher angehört werden. Ausnahmsweise kann auf eine Stellungnahme des Betroffenen der Berichtertsattung verzichtet werden, wenn er sich bereits zu den Vorwürfen an anderer Stelle geäußert hat. Ebenso kann auf eine Anhörung verzichtet werden, wenn unmissverständlich mitgeteilt wird, dass eine Stellungnahme nicht erfolgen wird.

Bevor man sich mit den möglichen Folgen bestimmter Fragen auseinandersetzt, sollte man zunächst deren rechtliche Einordnung betrachten. Sollen Aussagen rechtlich eingeordnet werden, unterscheidet man in der Regel zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Letztlich geht es um den Schutz von Aussagen durch die Meinungsfreiheit. Aber sind Fragen überhaupt mit Aussagen vergleichbar? Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem Thema „Fragen“ und Meinungsfreiheit im Jahr 1991 befasst (Beschluss vom 09.10.1991 - 1 BvR 221/90). Es ging um die Einordnung von Fragen als Tatsachenbehauptungen oder Werturteile. Hierzu führte das BVerfG aus: „Fragen unterscheiden sich von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen dadurch, dass sie keine Aussage machen, sondern eine Aussage herbeiführen wollen. Sie sind auf Antwort gerichtet.“ Heißt das, dass Fragen nicht von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sind? Nein! Zwar lassen sich Fragen in keine der beiden Kategorien einordnen, so das Bundesverfassungsgericht, dennoch genießen sie den Schutz des Grundrechts. Denn auch Fragen sind Teil der Meinungsfreiheit und wichtiger Bestandteil für den Meinungsbildungsprozess. Fragen werden daher den Werturteilen gleichgestellt, denn im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen können Fragen nicht unrichtig sein.

„Allerdings ist nicht jeder in Frageform gekleidete Satz als Frage zu betrachten“ (BVerfGE 85, 23). Soll das heißen, dass es Fragen gibt die eigentlich keine Fragen sind? Ja, in diesem Fall spricht man von sogenannten „rhetorischen Fragen“. Statt auf eine oder mehrere Antworten gerichtet zu sein, handelt es sich um eine Aussage oder Behauptung, die in einen Fragesatz gekleidet wurde. Folglich unterscheidet man zwischen „echten“ und „rhetorischen“ Fragen.


Man unterscheidet zwischen „echten“ und „rhetorischen“ Fragen. Bei der „echten“ Frage geht es der Person darum, Antworten auf seine Frage zu bekommen. Hingegen wird bei der „rhetorischen“ Frage bereits eine Aussage getroffen bzw. eine Behauptung aufgestellt. Der Person ist die Antwort auf seine „Frage“ letztlich egal. Es handelt sich genauer gesagt um keine Frage im engeren Sinn. Doch welche Folge hat diese Unterscheidung überhaupt?

„Echte“ Fragen werden wie Werturteile behandelt, das heißt, dass sie Teil der Meinungsfreiheit sind und von dieser geschützt sind. Im Gegensatz hierzu stehen die Tatsachenbehauptungen. Diese sind zwar auch von der Meinungsfreiheit umfasst, allerdings muss man zwischen wahren und unwahren Tatsachenbehauptungen unterscheiden. Nur wahre Tatsachenbehauptungen sind von der Meinungsfreiheit geschützt. Wer also bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen.

Da „rhetorische Fragen“ wie Aussagen behandelt werden, können sie sowohl als Werturteile als auch Tatsachenbehauptungen eingeordnet werden. Diese Unterscheidung hat zur Folge, ob man der „rhetorischen“ Frage den Schutz der Meinungsfreiheit gewährt oder nicht.

Wie unterscheidet man „echte“ und „rhetorische“ Fragen voneinander? In diesem Fall muss man eine Gesamtbetrachtung des Fragesatzes anstellen und neben der sprachlichen Form auch die Umstände und den Kontext betrachten. Dies kann mitunter nicht ganz einfach sein.

Was heißt das aber jetzt für die Praxis oder das wahre Leben? Muss man jetzt bei jeder Frage die man stellt, aufpassen was man sagt?

Nein, natürlich nicht. Wer eine Frage hat und eine Antwort sucht, darf sie auch stellen. Denn „echte“ Fragen sind voll und ganz von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wer hingegen eine „rhetorische“ Frage stellt mit dem Ziel eine andere Person dadurch in der Ehre zu verletzen, kann sich aber nicht auf die Meinungsfreiheit berufen.

Jein. Letztlich hängt es von der Unterscheidung zwischen „echter“ und „rhetorischer“ Frage ab, ob eine Aussage als Frage nicht strafbar wäre.
Folgendes Beispiel:
Wenn jemand behauptet: „Herr X ist ein Betrüger!“, obwohl er weiß, dass diese Aussage unwahr ist, kann sich wegen übler Nachrede gem. § 186 StGB strafbar machen.
Doch wie sieht es mit der Frage „Ist Herr X ein Betrüger?“ aus? Handelt es sich um eine „echte“ Frage, also geht es der Person darum eine Antwort zu erfahren, dann ist eine Strafe nicht vorstellbar. Aber was ist, wenn es sich um eine „rhetorische“ Frage handelt? In diesem Fall muss der gesamte Kontext, in dem die „Frage“ gestellt wurde, untersucht werden. Was will die Person mit dieser Frage bezwecken? Möchte die Person ihre Meinung darstellen oder nur unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine andere Person in ihrer Ehre verletzen? Denn nur wenn unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet werden, mit dem Ziel eine andere Person in der Ehre zu verletzen, kommt ein Entzug des Grundrechtsschutz durch Art. 5 Abs. 1 GG in Betracht. Da hierfür die Anforderungen sehr hoch sind, geht in der Regel die Meinungsfreiheit vor.

Strafbar sind „rhetorische Fragen“, die unwahre Tatsachenbehauptungen enthalten. Wer etwa eine Beleidigung in eine Frage verpackt, kann sich dennoch strafbar machen. Nur weil etwas in Form einer Frage gestellt wurde, heißt das nicht, dass es auch folgenlos bleibt. Mögliche Beispiele könnten sein:
„Bist du ein Arschloch/Hurensohn?“ „Sie ist eine dumme Schlampe oder?“
Diese eindeutigen Fälle, bei denen die Beleidigung einer anderen Person im Vordergrund steht, sind jedoch selten. Meist werden Fragen in einem umfassenden Kontext gestellt, sodass alle Umstände zu berücksichtigen sind.
Fragen sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Nur in bestimmten Fällen, wenn die Form als Frage dazu genutzt wird, um eine unwahre Tatsachenbehauptung zu verbreiten, dann verliert diese „unechte“ Frage den Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht macht deutlich, dass Fragen ein wichtiger Bestandteil im Prozess der Meinungsbildung und somit auch wichtiges Element der Meinungsfreiheit sind.

Eine grundlegende Entscheidung war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1991. In dieser Entscheidung haben sich die Karlsruher Verfassungsrichter mit der rechtlichen Einordnung von Fragen im Rahmen der Meinungsfreiheit beschäftigt und Grundsätze aufgestellt. Hintergrund war ein in einer Zeitschrift veröffentlichter Fragenkatalog an ein Alten- und Pflegeheim über die Zustände in der Einrichtung. Einige dieser Fragen empfand die Heimleitung als herabwürdigend und stellte einen Strafantrag gegen Autor der Fragen. Die Strafgerichte verurteilten den Autor wegen übler Nachrede gem. § 186 StGB, da es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen gehandelt habe. Dieser Ansicht folgte das Bundesverfassungsgericht nicht und hob die Entscheidung auf.

Eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 12. 11. 2002 - 1 BvR 232/97) beschäftigte sich mit Volksverhetzung durch Fragen. Unter der Überschrift „Benehmen sich so Gäste?“ verteilte im Jahr 1995 ein Mann in Krefeld Flugblätter. Die Absätze des Flugblattes waren u.a. überschrieben mit „Ethnische Säuberung an Deutschen in Deutschland?”, „Türkisches Rollkommando mit Taxis zum Einsatz” und „Darf die Polizei nicht helfen?”. Die Strafgerichte verurteilten den Mann wegen Volksverhetzung gem. § 130 StGB, da das Flugblatt und die Fragen dazu geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören. Auch hier folgte das BVerfG nicht den Strafgerichten und hob die Entscheidung auf, da die Gerichte bei ihrer Begründung fast nur auf die Überschriften abgestellt haben, ohne den Gesamtkontext zu betrachten.

Dass es aber auch Entscheidungen gibt, die zeigen, dass Fragen als unwahre Tatsachenbehauptungen teuer werden können, zeigt ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2003 (Urteil vom 9. 12. 2003 - VI ZR 38/03). Die Boulevardzeitung „Bild“ veröffentlichte auf ihrer Titelseite die Überschrift „Udo Jürgens im Bett mit Caroline?“ sowie dem Untertitel "In einem Playboy-Interview antwortet er eindeutig zweideutig.". Wegen dieser Veröffentlichung wurde der Verleger zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 20.000 € sowie der Richtigstellung verurteilt. Aus Sicht des BGH handle es sich nicht um eine "echte" Frage, sondern im Titel wird scheinbar eine Frage aufgeworfen, während die Formulierung des Untertitels dem Leser suggeriere, dass sie wohl zu bejahen sei. Folglich wird durch den Titel ein falscher Eindruck vermittelt.

Die Entscheidungen zeigen, dass die jeweilige Frage immer im Gesamtkontext betrachtet werden müssen. Das bedeutet für die Instanzgerichte, dass diese sich nicht nur mit der Frage an sich, sondern auch mit den Umständen befassen müssen.

Missstände und Verfehlungen aufzudecken und hierüber zu berichten sind wichtige Aufgaben von Presse und Medien. Auch Medienberichte über Tatverdächtige in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren gehören hierzu. Die Äußerung eines Verdachts kann jedoch schwerwiegende Folgen für die Person haben, um die sich der Verdacht dann dreht. Daher müssen Presse und die Medien sehr sorgfältig und behutsam vorgehen, wenn über einen Verdacht berichtet werden soll. Die Unschuldsvermutung muss hierbei immer beachtet werden.

Folgende Punkte müssen beachtet werden, wenn über einen Verdacht berichtet wird:

  • Es muss einen Mindestbestand an Beweistatsachen geben
  • es muss ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Verdachtsfall geben
  • es muss vor der Berichterstattung sorgfältig recherchiert werden
  • dem Betroffenen muss vor der Berichterstattung die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sein 
  • es darf keine Vorverurteilung stattfinden

Bei der Berichterstattung ist darauf hinzuweisen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob der Verdächtige anonymisiert werden muss. Auch die Gelegenheit zur Stellungnahme ist dem Betroffenen einzuräumen.

Merke:  Auch durch die Stellung von Fragen kann ein Verdacht geäußert werden. 

Beispiel: War X mit Y im Bett?

Die Persönlichkeitsrechte der verdächtigten Personen gebieten eine achtsame Vorgehensweise im Falle einer Verdachtsberichtersattung, da mit einem einzigen Verdacht ein ganzes Leben zerstört werden kann.

Ansprechpartner

Karsten Gulden

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator

Karsten Gulden, LL.M. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und zertifizierter Mediator

[email protected]
+49-6131-240950

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