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BVerfG - Recht auf Freiheit
Medienrecht:

BVerfG - Recht auf Freiheit

Recht auf Vergessen I und II
Das Bundesverfassungsgericht statuiert ein Recht auf Freiheit

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Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen das Recht auf Vergessenwerden konkretisiert und herausgearbeitet, dass den Menschen ein Recht auf Veränderung zusteht.

  • Die Meinungsfreiheit von Verlagen ist ebenso zu berücksichtigen wie der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Person
  • Online-Pressearchive können zur Implementierung von Schutzvorrichtungen gegen die Auffindbarkeit von Berichten durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen verpflichtet werden
  • Die Betroffenen müssen aktiv werden und sich an die Verlage und Suchmaschinen wenden
  • Je älter ein Bericht ist, desto geringer ist grundsätzlich das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der ungehinderten Abrufbarkeit und Auffindbarkeit
  • Ein Vorgehen gegen den Suchmaschinenbetreiber ist nicht subsidiär

Recht auf Vergessen I, 1 BvR 16/13 – Beschluss vom 06.11.2019

In der ersten Entscheidung ging es um einen Mordfall aus dem Jahr 1981. Der Beschwerdeführer hatte an Bord einer Yacht auf hoher See zwei Menschen erschossen. Hierüber berichtete der Spiegel in den Jahren 1982 und 1983. Im Jahr 1999 stellte Spiegel Online die Berichte in einem Online-Archiv zum Abruf bereit. Durch Namenseingabe bei Google wurden die Artikel auf der ersten Seite der Suchergebnisse angezeigt. Hiergegen wandte sich der Kläger zunächst mit einer Abmahnung und Unterlassungsklage mit dem Antrag, es der Spiegel Online GmbH zu untersagen, über die Straftat unter Nennung seines Familiennamens zu berichten.

Er sah sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er habe sich von der Tat distanziert und die Auffindbarkeit der veralteten Presseberichte beeinträchtigt schickten ihn in der Entfaltung seiner Persönlichkeit schwerwiegend.

Der Bundesgerichtshof wies die Klage ab. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.

Das Bundesverfassungsgericht stellte nun fest, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg hatte.

Abwägung der Grundrechte

In der Sache ging es um die Gewährung von Grundrechtsschutz im Verhältnis zwischen Privaten. Das bedeutet, dass die Grundrechte des Beschwerdeführers als auch die Grundrechte des Verlages miteinander abzuwägen waren.

Seitens des Beschwerdeführers sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen äußerungsrechtlichen Schutzdimensionen zu überprüfen, nicht jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Bundesverfassungsgericht erläutert diese feine Unterscheidung in vorbildlicher Art und Weise. Es erklärt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in dieser Konstellation den Menschen davor schütze, dass personenbezogene Berichte und Informationen im öffentlichen Raum als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses schrankenlos verbreitet werden. Es könne zu Gefährdungen für die Persönlichkeitsentfaltung kommen, durch die Form und den Inhalt der jeweiligen Veröffentlichung. Hieraus ergäbe sich für den einzelnen das Recht, die eigene Individualität selbstbestimmt zu entwickeln und zu wagen - auch im Zeitalter des Internets.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei hiervon abzugrenzen:

„Es bietet Schutz davor, dass Dritte sich individueller Daten bemächtigen und sie in nicht nachvollziehbarer Weise als Instrument nutzen, um die Betroffenen auf Eigenschaften, Typen oder Profile festzulegen, auf die sie keinen Einfluss haben und die dabei aber für die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind“.

Hieraus folgt, dass einzelnen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, Einfluss darauf zu nehmen, in welchem Kontext und auf welche Weise die eigenen Daten anderen zugänglich gemacht und von diesen genutzt werden.

Das Bundesverfassungsgericht verbalisiert zudem auch die Gefahren des digitalen Zeitalters in vorbildlicher Art und Weise:

… Daten “bleiben unmittelbar für alle dauerhaft abrufbar. Die Informationen können nun jederzeit von völlig unbekannten Dritten aufgegriffen werden…, Werden Gegenstand der Erörterung im Netz, können dekontextualisiert neue Bedeutung erhalten und in Kombination mit weiteren Informationen zu Profilen der Persönlichkeit zusammengeführt werden, wie es insbesondere mittels Suchmaschinen durch namensbezogene Abfragen verbreitet ist.“

Was nun folgt ist ein Manifest des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im Zeitalter des Internets:

„Zur Freiheit gehört es, persönliche Überzeugungen und das eigene Verhalten fortzuentwickeln und zu verändern. Hierfür bedarf es eines rechtlichen Rahmens, der es ermöglicht, von seiner Freiheit und eingeschüchtert Gebrauch zu machen, und die Chance eröffnet, Irrtümer und Fehler hinter sich zu lassen. Die Rechtsordnung muss deshalb davor schützen, dass sich eine Person frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen unbegrenzt vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen muss. Erst die Ermöglichung eines zurücktreten vergangener Sachverhalte eröffnet die Chance zum Neubeginn in Freiheit. Die Möglichkeit des Vergessens gehört zur Zeitlichkeit der Freiheit. Bildlich wird dies zum Teil auch als „Recht auf Vergessen“ oder als „Recht auf Vergessenwerden“ bezeichnet.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Recht auf Vergessen II, 1 BvR 276/17, Beschluss vom 06.11.2019

Der weitere Fall hatte eine Klage gegen einen Suchmaschinenbetreiber zu Grundlage. Dort wandte sich die Klägerin gegen die Auffindbarkeit eines Beitrages in einem Online Archiv. Durch Suchanfragen zu ihrem Namen wurde der Link in den Suchergebnissen angezeigt und auffindbar. Der Beitrag stammte aus dem Jahr 2010.

Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass dem Suchmaschinenbetreiber ein Recht auf unternehmerische Freiheit aus Artikel 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zustünde. Auf der anderen Seite sei in diesen Konstellationen stets auch die Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 7 und des Schutzes personenbezogener Daten aus Art. 8 der Charta zu berücksichtigen. Zudem sei die Meinungsfreiheit des Inhalteanbieters mittelbar zu berücksichtigen (im vorliegenden Fall des Norddeutschen Rundfunks, in dessen Onlinearchiv der Beitrag auffindbar war).

Das Bundesverfassungsgericht stellte ausdrücklich klar, dass ein Vorgehen gegenüber dem Suchmaschinenbetreiber nicht subsidiär zu einem Vorgehen gegenüber dem Dritten als Inhalteanbieter sei. Das bedeutet, dass Betroffene sowohl gegen den Suchmaschinenbetreiber als auch gegen das Medium vorgehen können, dass den Content zum Abruf bereithält.

Die Abwägungskriterien, die zur Beurteilung des jeweiligen Falles zu berücksichtigen sind, konkretisiert das Bundesverfassungsgericht wie folgt:

  • Ausmaß der Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung
  • Ausmaß der Verbreitung des streitbefangenen Beitrags
  • Würdigung der Berichterstattung in ihrem ursprünglichen Kontext
  • Würdigung der fortdauernden Zugänglichkeit der Information durch Suchmaschinen
  • Würdigung der zeitlichen Komponente

Fazit zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Vergessenwerden:

Das Bundesverfassungsgericht stärkt das Recht auf Vergessenwerden und damit das Recht der freien Entfaltung der Menschen in einer zunehmend digital geprägten und dominierten Welt.

Das Recht auf Vergessen(werden) sollte zum eingenständigen Grundrecht ernannt werden.

Ein wichtiger Schritt gegen das Diktat automatisierter Digitalkonzerne, für die der Mensch keine ernstzunehmende Rolle mehr spielt. Es liegt an der deutschen und insbesondere der europäischen Rechtsprechung und Gesetzgebung, die freie Entfaltung der Menschen zu schützen, bevor es zu spät ist.

Ansprechpartner

Karsten Gulden
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht LL.M. und Mediator

Karsten Gulden ist Rechtsanwalt & Mediator; Mitgründer und Gesellschafter der Kanzlei gulden röttger rechtsanwälte, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht seit 2009, Wahlfachprüfer beim Justizministerium Mainz/Rheinland-Pfalz und Mitglied im NetzDG-Prüfausschuss der FSM.
Zudem ist er ein Familienmensch, der das Klettern, die Berge & das Campen liebt. Die meiste freie Zeit verbringt er mit der Familie & den Pferden in freier Natur.

[email protected]
+49-6131-240950

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Ich glaube, dass die Rechte des Einzelnen, solange sie nicht die Gemeinschaft als Ganzes betreffen, gewahrt werden sollten. Auch das Recht auf geistiges Eigentum, insbesondere im Zusammenhang mit Künstlern, muss geschützt werden. Viele Menschen haben aufgrund der strengen Bedingungen, die an solche Rechte geknüpft sind, ihre harte Arbeit verloren.

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