Erstmals in ihrer Geschichte wurde die Stiftung Warentest zu Schadensersatz verurteilt. Das Landgericht Frankfurt sah in einem fehlerhaften Testbericht über Rauchwarnmelder einen rechtswidrigen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Firma Pyrexx. Der Stiftung, die sonst für unabhängige Tests steht, droht dadurch ein erheblicher Image- und Millionenverlust.
Testbericht „Einer alarmiert zu spät“:
Der Ursprung des Streits
Im Jahr 2020 veröffentlichte die Stiftung Warentest einen Testbericht mit dem Titel „Einer alarmiert zu spät“. Der Rauchwarnmelder der Firma Pyrexx bekam die Note „mangelhaft“ – eine fatale Bewertung für ein sicherheitsrelevantes Produkt. Pyrexx sah sich dadurch erheblich geschädigt und klagte.
Zunächst scheiterte Pyrexx mit einer einstweiligen Verfügung gegen die Veröffentlichung. Das Problem: Die Stiftung verweigerte die Herausgabe der Prüfberichte des belgischen Prüfinstituts. Das OLG Köln sah die Beweislast für Testfehler dennoch bei Pyrexx – das Verfahren endete zu Ungunsten des Unternehmens (OLG Köln, 09.03.2021, Az. 15 W 6/21).
Prüfberichte müssen vorgelegt werden
In der Hauptverhandlung wendete sich das Blatt. Auf Grundlage der §§ 422, 423 ZPO verpflichtete das LG Frankfurt die Stiftung Warentest zur Herausgabe der Prüfberichte. Diese Offenlegung brachte die Wende: Pyrexx konnte schwerwiegende Testfehler nachweisen. Das Prüfinstitut hatte die Norm DIN EN 14604:2005 nicht eingehalten – die Rauchdichte bei den Testfeuern war zu gering, der Melder konnte nicht auslösen. Die Stiftung Warentest erkannte schließlich die Fehlerhaftigkeit des Tests an. Es folgte ein Teil-Anerkenntnisurteil durch das LG Frankfurt am 5. März 2025 bezüglich der Unterlassungsansprüche.
Pyrexx fordert 7,7 Millionen Euro Schadensersatz
Pyrexx wollte mehr: Schadensersatz für entgangene Umsätze. Nach Veröffentlichung des Tests sei der Verkauf von Rauchwarnmeldern um 30 % eingebrochen. Die Stiftung Warentest spiele bei Kaufentscheidungen eine zentrale Rolle. Pyrexx fordert über 7,7 Millionen Euro Schadensersatz. Die Stiftung Warentest argumentierte, sie habe nicht selbst getestet und daher kein Verschulden. Der Fehler sei beim Prüfinstitut entstanden. Die entscheidenden Graphen seien bei Veröffentlichung nicht bekannt gewesen. Doch das Landgericht Frankfurt sah das anders. Im Urteil vom 13. März 2025 (Az. 2-03 O 430/21) entschied das LG Frankfurt, dass sich die Stiftung das Fehlverhalten des Prüfinstituts über eine Fiktionshaftung gemäß § 31 BGB zurechnen lassen müsse. Der Grund: Die Durchführung von Produkttests sei eine wesentliche Aufgabe der Stiftung, wie auch ihre Satzung ausdrücklich festlegt. Delegiere man diese Aufgabe, hafte man für Fehler der Beauftragten wie für eigene.
Besonderes Vertrauen verpflichtet: Verantwortung für „heiße Eisen“
Das Gericht betonte das besondere Vertrauen, das die Stiftung in der Öffentlichkeit genießt. Ein „mangelhaft“ aus dem Haus Warentest habe enorme wirtschaftliche Auswirkungen – daher seien Warentests „heiße Eisen“, bei denen besonders sorgfältig geprüft werden müsse.
Das Argument der Stiftung, eine Haftung sei unzumutbar, da keine Exkulpationsmöglichkeit bestehe, überzeugte das Gericht nicht. Sie hätte einfach die Prüfprotokolle anfordern können. Auch der Verweis auf Fachautoren-Urteile des BGH sei hier nicht einschlägig – das Prüfinstitut habe nur technisch geprüft, der Bericht selbst stamme von der Stiftung.
Keine Entlastung durch Verdachtsberichterstattung oder Laienprivileg
Auch der Versuch, sich auf das Laienprivileg oder Verdachtsberichterstattung zu berufen, scheiterte. Die Stiftung sei kein Journalist, der über fremdes Geschehen berichte, sondern ein hochprofessioneller Akteur, der über selbst initiiertes Geschehen berichte. Daher gelten für sie strengere Maßstäbe.
Berufung angekündigt – Grundsatzfrage bleibt offen
Die Stiftung Warentest hat bereits Berufung gegen das Urteil angekündigt. Sie fürchtet, künftig nicht mehr frei und unabhängig testen zu können, wenn sie für externe Prüffehler haften muss. Nowak betont: „Dann wäre das Risiko unüberschaubar.“
Doch das Landgericht stellt klar: Die Testberichterstattung sei im konkreten Fall nicht im Sinne der Verbraucher gewesen – und fehlerhafte Tests dürfen nicht folgenlos bleiben.
Wie geht es weiter? Schadenshöhe noch offen
Das Landgericht hat im März 2025 mit einem Teilurteil die grundsätzliche Schadensersatzpflicht festgestellt. Über die genaue Höhe – Pyrexx fordert über 7,7 Millionen Euro – muss in einem zweiten Verfahrensschritt entschieden werden. Wann dieser stattfindet, ist noch offen.
Parallel wird sich auch das Oberlandesgericht Frankfurt bald mit der Berufung der Stiftung Warentest befassen – und damit mit der Grundsatzfrage: Muss Stiftung Warentest für Fehler beauftragter Prüfinstitute haften?
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