es gibt ein Recht auf Vergessen auch und gerade für verurteilte Straftäter
maßgeblich ist neben dem Zeitablauf auch der konkrete Schutzbedarf des Straftäters (Stichwort: Resozialisierungsgedanke)
Das OLG Köln hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens, in dem wir den Kläger und Berufungsbeklagten vertreten, beschlossen, dass die Veröffentlichung von identifizierenden Angaben eines Straftäters auf einer lnternetseite unzulässig ist. Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen. Das erstinstanzliche Urteil ist damit rechtskräftig. OLG Köln 15 U 142/20; LG Köln 28 0 388/19.
Recht auf Vergessen für verurteilten Straftäter
Im Ausgangsverfahren haben wir einen verurteilten Straftäter vertreten, über den auf einer privaten Internetseite unter Angabe seines Namens über dessen begangene Straftat berichtet wurde. Durch die Eingabe seines Namens in die Google-Suche wurde das Suchergebnis auf diese Seite an prominenter Stelle auf Seite 1 der Google-Suche gelistet.
Die Auflistung der Suchergebnisse führte dazu, dass der Beklagte Probleme in der Resozialisierung hatte. Aus diesem Grunde wandte er sich an unsere Kanzlei. Ziel sollte es sein, die identifizierenden Angaben auf der Internetseite zu entfernen.
Altersangabe und Nennung des Vornamens und Nachnamens des Klägers ohne dessen Einwilligung
In der ersten Instanz wurde die Beklagte, zugleich Betreiberin der Internetseite, dazu verurteilt, es zu unterlassen, die Altersangabe und die Nennung des Vornamens und Nachnamens des Klägers ohne dessen Einwilligung, Zustimmung oder sonstige Rechtfertigung zu verbreiten oder zu verarbeiten.
Hiergegen wendete sich die Beklagte mit der Berufung. Nach dem eindeutigen Beschluss des OLG Köln wurde die Berufung zurückgenommen.
Das OLG Köln begründet sehr vorbildlich, warum das Urteil des Landgerichts Köln rechtsfehlerfrei erging.
Das OLG Köln hierzu:
"Das Landgericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass bei gebotener
Abwägung u.a. wegen der Erstarkung des Resozialisierungsinteresses des Täters und des fehlenden Reaktualisierungsanlasses im konkreten Fall die lnteressen des Klägers überwögen, u.a. mit Blick auf die im Zusammenhang mit einer möglichen Aussetzung der Strafe zur Bewährung stehenden Bemühungen zum Finden einer Arbeitsstelle….
Das Bereithalten von einen Straftäter identifizierenden lnhalten ist aber nicht nur bei aktiver lnformationsübermittlung und tagesaktueller Presseberichterstattung, sondern auch bei einem bloßen Bereithalten zum Abruf im lnternet - wie hier - ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. etwa BGH v. 18.12.2018 - Vl ZR 439117, GRUR 2019,657 Rn. 9; BVerfG v. 06.11.2019 - 1 BvR 16/13, ZUM 2020,58 Rn. 97 ff. - Recht auf Vergessen l).
Die Zulässigkeit dieses Eingriffs im allein maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - wegen des Rahmenrechtscharakters von einer umfassenden Abwägung abhängig, in der neben der Frage der ursprünglichen Zulässigkeit einer Äußerung etwa auch der Zeitablauf und die Beeinträchtigung - insbesondere auch durch die einfache Auffindbarkeit im Internet durch Suchmaschinen – wichtige Kriterien sind (BVerfG a.a.O,, Rn. 102 f.). Dabei gibt es (natürlich) kein "Recht auf Vergessenwerden" in einem grundsätzlich allein vom Betroffenen beherrschbaren Sinn, der auch nicht einseitig über seine Außendarstellung verfügen kann (BVerfG a.a.O. Rn. 107); maßgeblich ist neben dem Zeitablauf auch der konkrete Schutzbedarf (BVerfG a.a.O., Rn. 120 ÍÍ.), der auch davon abhängig ist, ob und inwieweit der Sachverhalt von Suchmaschinen prioritär kommuniziert wird und ob und inwieweit dem Publizierenden technische Maßnahmen zur Einschränkung der Auffindbarkeit zumutbar sind (BVerfG a.a.O., Rn. 125, 132ff .).
Das Landgericht hat hier zu Recht auf den recht langen Zeitablauf seit der Tat, den fehlenden Reaktualisierungsanlass für eine weitere lnformation über Tat und Täter und vor allem auch auf die mit Blick auf die Dauer der Haftstrafe und die gesetzlichen Vorgaben im SIGB dazu nur unsubstantiiert bestrittene anstehende Entscheidung über eine vorzeitige Haftentlassung abgestellt und so eine tatsächliche Beeinträchtigung von Resozialisierungsinteressen des in der Öffentlichkeit ansonsten auch unbekannten - Klägers begründet."
Tatsächlich ergab die lnternetsuche mit Namen und Vornamen des Klägers mit zwei in Deutschland gängigen Suchmaschinen, dass dies zu besonders plakativen und geradezu ins Auge steckenden Treffer führt.
Straftätern steht ein Recht auf Anonymität zu
Auch Straftäter haben schützenswerte Persönlichkeitsrechte, die im Einzelfall abgewogen werden müssen mit der Freiheit der Berichterstattung und der Meinungsfreiheit.
In jedem Fall muss berücksichtigt werden, dass ein konkretes Informationsinteresse für die Berichterstattung vorliegt (keine Befriedigung von Sensationslust). Hierbei muss man berücksichtigen,
- warum über die Tat oder den Täter berichtet wird
- und in welcher Art und Weise die Öffentlichkeit informiert wird
- sowie die Aktualität/Zeitablauf (je länger die Tat zurücklegt, umso mehr hat der Täter das Recht mit der Tat "alleingelassen zu werden"
Es geht nicht darum, die Straftaten zu beschönigen, sondern es muss berücksichtigt werden, dass die Resozialisierung wesentlich erschwert werden kann, wenn der Täter fortwährend mit seiner Tat konfrontiert wird. Dies kann dazu führen, dass der Straftäter irgendwann einmal ein Recht auf Anonymität hat, unter den gleichen Voraussetzungen wie auch ein unbescholtener Bürger.
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