In einem aktuellen presserechtlichen Verfahren gegen einen Verlag hat das Landgericht Frankenthal ein mustergültiges Urteil zu dem Thema der Verdachtsberichterstattung gefällt.
Die von unserer Kanzlei vertretene Lokalzeitung berichtete über ein Unternehmen aus der Baustoffbranche und mögliche Zusammenhänge und den Verdacht unrechtmäßiger Entsorgung von Bauschutt.
Das Unternehmen bestreitet diese Vorwürfe und forderte die Unterlassung der Berichterstattung.
Die Lokalzeitung war hingegen der Auffassung, dass ihre Äußerungen teilweise Meinungsäußerungen sind oder auf ausreichenden Anhaltspunkten basieren, um nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung veröffentlicht zu werden. Sie argumentieren auch, dass die Kontaktaufnahme zu dem betroffenen Unternehmen vor der Veröffentlichung ausreichend war.
Das Landgericht Frankenthal folgte der Argumentation der Lokalzeitung und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Gegenseite hat erfolglos Berufung eingelegt. Das Pfälzische OLG Zweibrücken hat die Berufung vollumfänglich zurückgewiesen. OLG Zweibrücken Beschl. v. 22.4.2024 – 4 U 12/24 - AfP 2024, 439 (Heft 05)
Der Fall erinnert stark an einen Prozess eines Augenarztes gegen die Berichterstattung eines Verlags. Auch hier kam es zur Abweisung der Klage. Die Berufung wurde zurückgewiesen vom OLG Zweibrücken 4 U 126/21- siehe Video:
Berichterstattung über mögliche Umweltstraftaten
In dem Verfahren wurde der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verlegerin einer deutschen Regionalzeitung, als auch den verantwortlichen Redakteur derselben beantragt. Die Lokalzeitung berichtete in den vergangenen Monaten wiederholt über den Verdacht, dass auch die Verfügungsklägerin an der Durchführung von Aktionen beteiligt sei, die schädlich für die Umwelt sein könnten.
Abmahnung drei Wochen nach Erscheinen des Artikels
Das betroffene Unternehmen mahnte den Verlag und den Redakteur drei Wochen nach Erscheinen des Beitrages ab und forderte diese auf, die Verbreitung zweier Passagen des Beitrages zu unterlassen.
Möglichkeit zur Stellungnahme
Der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin wurde im Vorfeld der Berichterstattung nicht direkt kontaktiert, um ihm die Gelegenheit zu geben, zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen. Der Redakteur kontaktierte jedoch den alleinigen Gesellschafter des Unternehmens, der zugleich in einem Verwandtschaftsverhältnis zu dem Geschäftsführer steht. Das betroffene Unternehmen war der Auffassung, dass unwahre Tatsachen verbreitet würden, die auch nicht von den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung gedeckt seien. Zudem sei die Quelle unzuverlässig, auf die sich der Verlag berufe. Auch die Möglichkeit der Stellungnahme sah man als nicht gegeben an.
Klassiker im Presserecht
Folgende Themen wurden in dem presserechtlichen Verfahren erörtert und abgeurteilt:
- dringlichkeitsschädliches Zuwarten
- Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung (insbesondere Gelegenheit zur Stellungnahme)
- Beweislast
- Geschwärzte eidesstattliche Versicherung
- Zuverlässigkeit der Quelle
Das Landgericht Frankenthal hat in dem presserechtlichen Verfahren ein Urteil gesprochen, in dem viele Punkte klargestellt wurden, die in presserechtlichen Streitigkeiten immer wieder diskutiert werden. Das Urteil enthält viele Klarstellungen zur Eildürftigkeit, den Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung, zur Glaubhaftmachung und auch zur Bedeutung der Pressearbeit für die Gesellschaft, wenn es um die Offenlegung von Missständen geht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Verteidigung des Verlags
Für den Verlag haben wir vorgetragen, dass es sich bei den angegriffenen Äußerungen um zulässige Meinungsäußerungen handeln würde. Soweit es sich um Tatsachenbehauptungen handele, seien jedenfalls ausreichend Anhaltspunkte für deren Wahrheit gegeben, so dass die Berichterstattung auch nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung zulässig gewesen sei. Zudem gab es etliche Anhaltspunkte, die die Behauptungen in dem Bericht untermauerten. Zudem wurde angeführt, dass die Kontaktaufnahme zu dem alleinigen Gesellschafter ausgereicht hätte, da dieser nach unserem Vortrag maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen ausübt, verwandt mit dem Geschäftsführer ist und die Anfrage jederzeit hätte an den Geschäftsführer weiterleiten können.
es muss schnell gehen, wenn es eilig sein soll!
Das Landgericht Frankenthal hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung kostenpflichtig zurückgewiesen. Gegen das Urteil hat die Gegenseite nun Berufung eingelegt.
Fehlende Dringlichkeit – Abmahnung zu spät erfolgt
Es fehlt bereits an einem Verfügungsgrund, da eine einstweilige Verfügung voraussetzt, dass die Sache dringlich sei, so das LG Frankenthal. Im presserechtlichen Verfahren wird oft der Verfügungsgrund ohne weiteres angenommen, wenn die Veröffentlichung im Internet nach wie vor abrufbar ist und die angegriffene Handlung fortbesteht. Allerdings wurde vorliegend die Dringlichkeit durch die Verfügungsklägerin selbst widerlegt, da diese den Verlag und den Redakteur erst drei Wochen nach Erscheinen des Artikels und Kenntniserlangung abgemahnt hat. Weder der Geschäftsführer noch sein Verfahrensbevollmächtigter sei in der Lage gewesen, dieses dringlichkeitsschädliche Zuwarten plausibel zu erläutern. Das Gericht betonte, dass die Einlassungen sich gar widersprachen. Im Ergebnis sei nicht glaubhaft gemacht, dass sich die Verfügungsklägerin ernsthaft um ein Vorgehen gegen den Artikel bemüht habe. Wenn der Artikel so rufschädigend gewesen wäre, wie die Verfügungsklägerin dies geltend gemacht hat, so hätte es nahe gelegen, unmittelbar nach Erscheinen des Artikels die Abmahnung zu fertigen, so die Pressekammer. Durch dieses Abwarten habe die Verfügungsklägerin zu erkennen gegeben, dass ihr das Vorgehen gegen die Verfügungsbeklagten nicht dringlich ist.
Möglichkeit zur Stellungnahme
Oft zitiert, nicht immer im Einzelfall betrachtet wird das Thema der Möglichkeit einer Stellungnahme des Betroffenen zu den konkreten Vorwürfen.
Das Gericht urteilte, dass der Verlag und der Redakteur ihrer Pflicht ausreichend nachgekommen seien, die Betroffenen vor Erscheinen des Berichts anzuhören.
Nicht notwendig sei bspw. die Versendung einer schriftlichen Anfrage per Boten oder der persönlichen Ablieferung einer solchen. Vorliegend wurde der alleinige Gesellschafter mit den Vorwürfen konfrontiert.
Das sei vorliegend ausreichend.
Die Auffassung entspricht auch der Rechtsprechung des Pfälzischen Oberlandesgerichts, vgl. 4 U 126/21 Beschluss vom 05.12.2022.
Überwiegen der Pressefreiheit
Weiter stellte die Kammer klar, dass bei einer Gemengelage zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptungen ein Überwiegen der Pressefreiheit angenommen werden könne, wenn es um die Offenlegung von krassen Missständen geht. Im vorliegenden Fall wurde ergebnisoffen die Thematik Umweltverschmutzung und die etwaige Begehung von Umweltstraftaten thematisiert. Es wurde hingegen nicht behauptet, dass das betroffene Unternehmen eine Umweltstraftat begangen habe. Eine Vorverurteilung fand nicht statt.
Beweislast
In presserechtlichen Verfahren werden auch immer wieder die Voraussetzungen zur Beweislast missverstanden bzw. nicht zu Ende gedacht, wenn es um Presseberichterstattung geht. Grundsätzlich trägt derjenige die Beweislast für den Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung, der sie aufstellt und verbreitet. Das gilt auch, wenn ein Verlag oder Redakteur beteiligt ist. Das gilt umso mehr auch, wenn es um abträgliche Äußerungen geht.
Presse als public watchdog
Da die Presse eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt (public watchdog, wenn es um Missstände geht), dürfen die Anforderungen an die Presse jedoch nicht überspannt werden. Die Mittel der Presse sind begrenzt durch den Zwang zu aktueller Berichterstattung, so die Kammer. Wenn dann ordentlich recherchiert wurde und die Berichterstattung ausgewogen und ergebnisoffen ist, dann gibt es presserechtlich nichts zu beanstanden. Die Presse handelt dann in Wahrnehmung berechtigter Interessen.
Eidesstattliche Versicherung geschwärzt - zuverlässige Quelle
Einige Anknüpfungspunkte der Berichterstattung wurden durch die Aussage einer anonymen Quelle gestützt. Die entsprechende eidesstattliche Versicherung wurde geschwärzt, da die Quelle Angst um Leib und Leben hat (es gab im Vorfeld Gewalttaten, die einen Zusammenhang zu der Thematik aufweisen). Die Kammer ließ dahinstehen, ob es sich bei einer geschwärzten eidesstattlichen Versicherung um ein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung handelt. Dies konnte auch dahinstehen, da der Redakteur selbst mit der Quelle sprach und diese Erkenntnisse verwertete. Zudem war der Redakteur selbst an verschiedenen Schauplätzen zur Recherche „vor Ort“
Fazit zum Urteil der Pressekammer
Das Urteil ist zu begrüßen, da sich die Kammer mit dem Wesenskern des einstweiligen Verfügungsverfahrens befasst: Der Dringlichkeit. Viel zu oft gehen die Gerichte über das Erfordernis hinweg, ohne zu prüfen, ob der Fall tatsächlich so dringlich ist, dass eine gerichtliche Entscheidung keinen Aufschub duldet. Auch wird dies in vielen Fällen nicht glaubhaft gemacht. Dem hat das Landgericht Frankenthal nun einen Riegel vorgeschoben.
OLG Zweibrücken Beschl. v. 22.4.2024 – 4 U 12/24 - Zulässige Äußerung einer Rechtsauffassung
AfP 2024, 439 (Heft 05)
LG Frankenthal 6 O 289/23 Urteil vom 16.01.2024
siehe auch AfP - Zeitschrift für das gesamte Medienrecht
Archiv für Presserecht:
LG Frankenthal (Pfalz) v. 23.1.2024 - 6 O 289/23, Zulässige Verdachtsberichterstattung über mögliche Umweltstraftaten, AfP 2024, 364-367
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