Die Sprache im Internet ist eine andere als diejenige, die wir aus unseren sozialen Umfeldern kennen. Sehr einfach kann man sich hinter einem anonymen Account verstecken und den anderen Menschen so richtig „die Meinung geigen“. Regelmäßig hört man von Shitstorms und Hatespeech im Internet. Diese Begriffe beschreiben Phänomene, in denen sich Gruppen im Internet bilden und gegen bestimmte Vorkommnisse, aber auch gegen Personen und Firmen mittels Posts, Memes, aber auch persönlichen Nachrichten vorgehen. Neben dem großen Maß an Ablehnung, welche Betroffene erfahren, müssen diese auch mit Beleidigungen, Verunglimpfungen und Falschzitaten umgehen. Für Betroffene solcher Shitstorms setzt sich die gemeinnützige HateAid gGmbH ein.
HateAid hilft Betroffenen digitaler Gewalt
HateAid berät Betroffene von digitaler Gewalt. Dabei bietet die GmbH nicht nur juristische, sondern auch psychische Beratung und Begleitung an. Zusätzlich leistet die GmbH auch Öffentlichkeitsarbeit und klärt über die Methoden und Folgen von Gewalt im Internet auf. Dabei sind diese Angebote für die Betroffenen kostenlos, auch die Anwalts- und Prozesskosten werden übernommen. Finanziert wird die Organisation über Spenden und nach dem Solidaritätsprinzip. Eingeklagte Schadensersatzsummen werden an die Organisation zurückgespendet, sodass das Angebot auch für andere Betroffene kostenlos bleiben kann. Als gemeinnützige Organisation wird hateAid auch vom Bundesministerium für Familie sowie der Justiz gefördert.
Der Fall Künast
Im Laufe der Jahre betreute HateAid auch prominente Journalist*innen sowie Politiker*innen. Eine davon ist die Grünen Politikerin Renate Künast. Diese hatte sich bereits mehrfach gegen sie gerichtete Beleidigungen im Netz gewehrt. Zunächst blieb dies erfolglos. Das LG Berlin erließ einen Beschluss, in dem es ausführte, dass Frau Künast als Politikerin mehr hinnehmen müsse, als eine private Person (Beschl. v. 09.09.2019, Az. 27 AR 17/19). Die viel kritisierte Einschätzung des LG Berlin wurde durch weitere Beschlüsse des Kammergerichts (Beschl. v. 11.03.20, Az. 10 W 13/20) sowie des LG Berlin teilweise aufgehoben. So gelang Frau Künast ein Teilerfolg.
Meme
Nun wehrt sie sich erneut gegen Facebook und möchte ein Grundsatzurteil erwirken. Mithilfe von HateAid soll erreicht werden, dass die Betroffenen digitaler Gewalt nicht jeden einzelnen Post, auch wenn er inhaltsgleich ist, selbst ausfindig machen müssen, um ihn von Facebook sperren zu lassen. Konkret geht es um ein Meme, welches Frau Künast fälschlicherweise ein Zitat zuschreibt. Ziel ist es, Facebook zu verpflichten, alle veröffentlichten Memes auf der Plattform ausfindig zu machen und diese proaktiv zu löschen. Für dieses Vorgehen sprechen einige Argumente. Denn gerade in Fällen von übler Nachrede und Verleumdung ist es für die Betroffenen sowohl psychisch als auch zeitlich nicht zumutbar, dass diese Falschinformationen oder Beleidigungen im Netz bestehen bleiben. Zudem liegt es auch nicht in der Verantwortung der betroffenen Person, dass entsprechende Beiträge überhaupt gepostet werden. Vielmehr bietet Facebook die Plattform, die solche Verstöße erst ermöglicht.
Keine allgemeine Überwachungspflicht
Allerdings bestimmt Artikel 15 der hier einschlägigen europäischen Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, dass eine allgemeine Überwachungspflicht für Hosting-Anbieter gerade nicht besteht. Juristisch dreht sich der Fall also auch darum, ob es sich hierbei schon um eine Ausprägung einer generellen Überwachungspflicht handelt. Diese Frage wurde bereits vom EuGH entschieden.
Glawischnig- Piesczek gegen Facebook
Grundlage der Klage ist das Verfahren der österreichischen Politikerin Glawischnig- Piesczek gegen Facebook, welche dem EuGH vorgelegt wurde. Dieser stellte fest, dass ein Gericht eines Mitgliedsstaat die Möglichkeit hat, einem Hosting-Anbieter wie Facebook aufzugeben, auch sinngleiche Postings zu entfernen, wenn ein rechtswidriger Post bereits gemeldet wurde (Urteil vom 3.10.2018 - C-18/18). Damit scheint die Frage auf europäischer Ebene bereits geklärt. Allerdings gibt es in Deutschland noch kein entsprechendes Urteil, so dass es an Rechtssicherheit für Betroffene fehlt. Dieses Urteil möchte Künast erreichen.
Strengere Haftung für Facebook und Co.
Aufgrund der klaren Aussage des EuGHs sieht es für Frau Künast, unabhängig von ihren politischen Zielen, in der Hinsicht auch gut aus. Gerichtliche Entscheidungen sind zwar immer Sache des Einzelfalls, allerdings gibt es in diesem Fall bereits eine europäische Linie, der das Gericht folgen kann. Ein solches Urteil zu Gunsten von Frau Künast wäre aus Sicht der Betroffenen mehr als nur wünschenswert. Wer Opfer einer Straftat ist, sollte nicht selbst verpflichtet sein, die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern. Hier müssen die Netzwerke wie Facebook viel stärker in die Pflicht und Haftung genommen werden. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass es sich dabei nicht um „soziale“ Netzwerke handelt, sondern einzig und allein um profitgesteuerte Unternehmen, die Handel mit den Nutzerdaten betreiben.
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