Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin aufgehoben, welches wüste Beschimpfungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast nicht als strafbare Beleidigung eingestuft hatte (Az.: 1 BvR 1073/20). Die Karlsruher Richter kritisieren mit scharfen Worten den Prüfungsmaßstab, den die Richter am KG Berlin anwandten, entschieden selbst aber nicht, ob die verächtlichen Social-Media-Kommentare wirklich strafbar waren.
Kammergericht Berlin
Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin habe bei seiner Entscheidung die „Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts“ der Grünenpolitikerin verkannt – somit selbst das Persönlichkeitsrecht der Frau verletzt. Der Grund: Bei der Prüfung, ob bestimmte Hasskommentare auf Facebook gegen Künast strafbar waren, führte das Berliner Gericht keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht durch. Gerade dass wäre aber nötig gewesen.
Künasts Ziel: Bestandsdaten von Facebook-Usern
Worum ging es? Renate Künast will Facebook dazu bewegen, ihr die Identität diverser Nutzer preiszugeben, die sie auf der Plattform beschimpft haben – um diese im nächsten Schritt verklagen zu können. Auskunft gibt es in diesen Fällen meist nur bei strafbaren Beleidigungen und strafbaren Persönlichkeitsrechtsverletzungen.
Im September 2019 hatte das Landgericht Berlin entschieden, dass zahlreiche der wüsten Beschimpfungen in Richtung der Grünen-Politikerin Renate Künast zulässig seien – darunter Ausdrücke wie „Drecks Fotze“. Teilweise revidierte das Gericht seine Entscheidung (Abhilfebeschluss v. 21.01.2020, Az. 27 AR 17/19), aber auch die Berufungsinstanz, das Kammergericht Berlin, ließ einige Beschimpfungen weiter durchgehen. "Pädophilen-Trulla", "kranke Frau", "Gehirn Amputiert" sollen nicht strafbar gewesen sein, weil darin keine sogenannte Schmähkritik gelegen habe, bei der jeder Sachzusammenhang gefehlt habe.
Eine Parlamentsdebatte in den 80ern und der Pädophilie-Vorwurf
Der Sachzusammenhang war der folgende. Diese Kommentare waren unter einem Artikel der „Welt“ auf Facebook gepostet worden, bei dem es um die Aufarbeitung der früheren Haltung der Berliner Grünen zum Thema Pädophilie ging. In dem Artikel ging es unter anderem um Äußerungen der Politikerin zur Frage, ob Sex mit Kindern in Ordnung sei. Künast wird dort aus einem Protokoll einer Parlamentsdebatte von 1986 in einer Weise zitiert, die ihre Befürwortung nahelegt. Die ihr im Facebook-Beitrag als Zitat unterstellte Äußerung hatte sie jedoch nie getätigt.
Äußerungsrecht nicht verstanden
Ob dies als „Sachzusammenhang“ für derartige Beschimpfung ausreicht, ist die eine Frage. Die andere ist die laut Verfassungsgericht fehlerhafte Schlussfolgerung der Berliner Richter, dass ein Kommentar, der keine Schmähkritik ist, keine strafbare Beleidigung sein könne. Genau das ist falsch, geht man nach ständiger Rechtsprechung. Wenn keine Schmähkritik vorliegt, bedeutet dies nämlich nicht, dass eine Aussage stets zulässig wäre. In diesem Fall ist eine umfassende Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Aussagenden und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorzunehmen. Dort gilt dann: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Weil diese Abwägung fehlte und das KG Berlin nach der „Hop oder Flop“-Methode entschied, wurde die Entscheidung aufgehoben. Der Ball liegt nun wieder in Berlin, wo das KG diese Abwägung gewissenhaft durchzuführen muss. Gut möglich, dass sie so zu einem anderen Ergebnis kommen.
Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie unfassbar kräftezehrend es ist, mit rechtlichen Mitteln herauszufinden, wer einen selbst auf Social-Media öffentlich beschimpft hat. Bis zu drei Gerichtsverfahren kann es – Berufungsmöglichkeiten nicht mitgezählt - brauchen, damit ein Täter für eine Beschimpfung zivil- und strafrechtlich belangt wird. Auskunftsverfahren, Strafprozess, Zivilverfahren. Hier hat allein das Auskunftsverfahren schon drei Gerichte beschäftigt.
Kompliziertes Verfahren bremst Gerechtigkeit
Wenn schon des juristischen Aufwands wegen Täter nicht verfolgt werden, ist das ein Problem unserer Demokratie. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann – so schreibt es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss - nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.
Im privaten Raum tat das LG Schweinfurt im vergangenen Jahr ein wichtigen Schritt (Az. 14 O 782/20, Beschl. V. 05.07.2021). Es hat angeordnet, dass Facebook Auskunft über Bestandsdaten in Form des Namens und der E-Mail-Adresse eines Instagram-Nutzers erteilen darf, der Mädchen erpresst hatte, ihm Nacktfotos zu schicken. Dank des Gerichtsbeschlusses erwarten den Mann nun eine strafrechtliche Verurteilung als auch eine zivilrechtliche Verfolgung mit Abmahnung, Schadensersatz und Geldentschädigung.
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