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Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung
Medienrecht:

Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung?

Stellungnahme zum Fall Künast - Landgericht Berlin legalisiert Hass-Posts

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KG Berlin: Künast teilweise erfolgreich gegen „Drecks Fotze“- Entscheidung

Mit seiner „Drecks Fotze“-Entscheidung hat das Landgericht Berlin das Äußerungsrecht ad absurdum geführt. Facebook-Nutzer hatten die Grünen-Politikerin Renate Künast teils übelst beleidigt. Kein Problem für die Richter, die Künast Klage abwiesen. Später revidierten sie ihren Beschluss zum Teil. Das Kammergericht Berlin stuft nun sechs weitere Kommentare als strafbare Beleidigung ein.

Facebook darf in diesen Fällen nach § 14 Abs. 4 des Telemediengesetzes unter anderem IP-Adresse, Name der seiner Nutzer und deren E-Mail-Adresse an Künast weitergeben. In einem neuen Verfahren könnte Künast so gegen die Beleidiger vorgehen. In Hinblick auf weitere der insgesamt 22 Kommentare bestätigte das KG Berlin die Entscheidung der Vorinstanz (Beschl. v. 11.03.2020, Az. 10 W 13/20).

Es bleibt also ein Kampf um jedes Schimpfwort. Auslöser des Ganzen: Ein Zwischenruf der Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 1986. Mit diesem hätte sie Forderungen nach Straffreiheit für Sex mit Kindern unterstützt. Unter einem diesbezüglichen Facebook-Post hatte sich die Kommentarspalte rasch mit Beleidigungen gefüllt.

Ausdrücke wie „Pfui, du altes grünes Dreckschwein…" und „Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird" sollen nun doch ehrverletzend sein.

Diese Schmähungen stünden „außerhalb einer Sachdebatte“. Künast werde im Schutze der Anonymität des Internets zum Objekt frauenverachtender und entwürdigender obszöner Anwürfe gemacht, führen die Richter an anderer Stelle an.

Nichtsdestotrotz: Zehn weitere Kommentare seien keine strafbare Beleidigung. „Gehirn Amputiert“ oder „Kranke Frau“ seien im Kontext keine rein persönliche Herabsetzung und Schmähung. Wie die weiteren Kommentare lauten muss hier nicht im Detail besprochen werden.

Stellungnahme:

Dass unsere Gerichte hier keine klarere Kante zeigen, ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat. Es darf nicht mehrerer Instanzen bedürfen, um festzustellen, dass derart offensichtlich verletzende Äußerungen beleidigend sind. Es sendet ein falsches Signal an all jene, die täglich auf diese Weise im Internet kommunizieren. Wenn Jahre vergehen, bis Betroffene überhaupt die Möglichkeit bekommen, rechtlich gegen diese anonymen Entwürdigungen vorzugehen, kann es bei den Tätern kein Einsehen geben. Warum auch, wenn Gerichte sie teilweise darin bekräftigen, dass „Drecks Fotze“ normaler Umgangston ist.

„Meine Auffassung ist, dass die Kommunikation in unserer Gesellschaft die Basis für das friedliche Zusammenleben ist“, sagt Fachanwalt Karsten Gulden: „Aus diesem Grunde dürfen verbale Grenzüberschreitungen nicht als „normal“ abgetan werden.“ Das Leben in Frieden ist hier das höherrangige Ziel. Denn Hetze führt zu Gewalt, das zeigt nicht erst der Mord an Walter Lübcke. Wenn die Justiz dem Gebot des effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht gerecht wird, ist unser friedliches Zusammenleben in Gefahr.

 

Wo endet der sachliche Meinungskampf und beginnt das Unsagbare? Über die Politikerin Renate Künast (Grüne) darf man, wenn es nach dem Landgericht Berlin geht, im Netz wohl alles sagen: Die Ausdrücke „Sondermüll“, „Drecksau“, „Stück Scheiße“, „Pädophilen-Trulla“ oder „Drecks Fotze“ bewegten sich zwar „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren“ – aber eben nicht außerhalb des Bereich des Sagbaren. Das stellte die 27. Zivilkammer des LG Berlin am 9. September fest (Az: 27 AR 17/19).

Die Politikerin kündigte laut dpa schon an, gegen den Beschluss des Gerichts vorzugehen. Dieser sende ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, sagte Künast.

Ziel der Klage, die Künast gegen Facebook gerichtet hatte, war es, die Herausgabe der Identität von 22 Verfassern diverser Hass-Posts zu erreichen. All diese Kommentare waren unter einem Artikel der „Welt“ gepostet worden, bei dem es um die Aufarbeitung der früheren Haltung der Berliner Grünen zum Thema Pädophilie ging.

In dem Artikel ging es unter anderem um Äußerungen der Politikerin zur Frage, ob Sex mit Kindern in Ordnung sei. Künast wird dort aus einem Protokoll einer Parlamentsdebatte von 1986 in einer Weise zitiert, die ihre Befürwortung nahelegt.

Als Reaktion darauf, müsse sich die Politikerin auch „sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen“, so die Zivilkammer. Denn die im Artikel aufgeführte Äußerung Künasts bewege sich ebenfalls im sexuellen Bereich und berge „erhebliches Empörungspotential“. Ganz konkret schlussfolgert die Kammer: „Knatter sie doch mal so richtig durch, bis sie wieder normal wird“ sei Kritik, die mit dem Stilmittel der Polemik geäußert werde. Einen „Sachbezug“ soll auch die Forderung haben, Künast als Sondermüll zu entsorgen. „Überspitzt, aber nicht unzulässig“ sei auch die Aussage, Künast sei „vielleicht als Kind ein wenig zu viel gefi…“ worden.

Stellungnahme

Der Beschluss muss sehr kritisch gesehen werden. Zwar müssen sich nach ständiger Rechtsprechung Träger öffentlicher Gewalt auch stark zugespitzte und polemische Kritik gefallen lassen – bestätigt durch ein junges Urteil des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG (K), 8.02.2017 -1 BvR 2973/14. Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung bleibt aber stets die Schmähkritik oder die Formalbeleidigung. Ersteres sieht die höchste Rechtsprechung gegeben, wenn einer „Person der Achtungsanspruch ganz oder in unerträglicher Weise abgesprochen“ wird. Es geht dabei nur noch um die Diffamierung oder Erniedrigung der angegriffenen Person – es fehlt ein sachlicher Bezug zu einer Debatte.

Im Fall Renate Künast ist nicht nachvollziehbar, welchen sachlichen Bezug die zahlreichen Facebook-Kommentare noch haben sollen. Kaum ersichtlich ist zum Beispiel, welche legitime Intention der Ausdruck „Drecks Fotze“ haben kann, wenn nicht die stumpfe Beleidigung.

Hier könnten übrigens nicht nur die Äußernden, sondern auch das Berliner Landgericht durch seinen Beschluss gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht Renate Künasts verstoßen haben. Denn laut dem Bundesverfassungsgericht müssen Gerichte bei Anwendung der zivilrechtlichen Normen, die Grundrechte der Betroffenen beachten. Lässt eine gerichtliche Entscheidung eine persönlichkeitsrelevante Äußerung, beispielsweise eine strafbare Beleidigung zu, berührt dies der Rechtsprechung nach das Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 114, 339 – Stolpe). 

Diesseits wird davon ausgegangen, dass der Beschluss kassiert werden wird.

Update - Stellungnahme zum Fall Künast

„Drecks Fotze“ und „Pädophilen-Trulla"?! Das eine soll erlaubt sein, das andere nicht? Das ist für viele Menschen nicht nachvollziehbar. Auch nicht für mich als Juristen, schon gar nicht als Mensch.

Die ursprüngliche Entscheidung löste eine deutschlandweite Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit aus: Im September 2019 hatte das Landgericht Berlin entschieden, dass zahlreiche wüste Beschimpfungen in Richtung der Grünen-Politikerin Renate Künast zulässig seien – darunter Ausdrücke wie „Drecks Fotze“. Nun hat das Gericht seine Entscheidung teilweise revidiert (Abhilfebeschluss v. 21.01.2020, Az. 27 AR 17/19).

Trotz ihres spontanen Sinneswandels halten die Richter zahlreiche Aussagen in ihrer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung weiter für zulässig. In zweiter Instanz, vor dem Kammergericht, wird es um diese Äußerungen gehen, bei denen die Berliner Richter noch immer einen Sachzusammenhang zu einer politischen Debatte zu sehen scheinen.

Was ist Schmähkritik?

Auf letzteren Aspekt kommt es rechtlich an, wenn harsche Kritik von nicht mehr hinzunehmender Schmähkritik zu unterscheiden ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung müssen sich Träger öffentlicher Gewalt auch stark zugespitzte und polemische Kritik gefallen lassen, das gehört in einer Demokratie dazu. Schluss ist aber immer bei Schmähkritik oder Formalbeleidigung. Wenn einer „Person der Achtungsanspruch ganz oder in unerträglicher Weise abgesprochen“ wird, es nur noch um die Diffamierung oder Erniedrigung der angegriffenen Person geht und jeglicher sachliche Bezug zu einer Debatte fehlt. Dann sprechen Juristen üblicherweise von Schmähkritik.

Durch diese Brille muss die Neueinordnung der folgenden Beschimpfungen betrachtet werden (Wiedergabe mit ursprünglichen Rechtschreibfehlern).

Nicht in Ordnung sei, heißt es aus Berlin:

  • „Drecks Fotze“
  • „Schlampe“
  • „Diese hohle Nuß gehört entsorgt, aufe Mülldeponie, aber man darf ja dort keinen Sondermüll entsorgen"
  • „Schlamper"
  • „Ferck du Drecksau"
  • „Stück Scheisse“ (keine Schmähkritik, zwar Beleidigung - hier komme es auf eine Interessenabwägung an)

Keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik hingegen sollen die folgenden Kommentare sein. Dabei sei „teilweise bereits fraglich, ob ein ehrherabsetzender Inhalt gegeben ist“:

  • „Überhaupt so eine Aussage zu treffen zeugt von kompletter Geisteskrankheit"
  • „Die der Star-Treck Figur „Captain Picard“ in den Mund gelegte Aufforderung, „Knattter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“
  • „Pfui du altes g…Dreckschwein“
  • „Gehirn Amputiert“
  • „Wurde diese "Dame" vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. …"
  • „Pädophilen-Trulla"
  • „die sind alle so krank im Kopf“
  • „Kranke Frau“
  • „Die will auch nochmal Kind sein weil sonst keiner an die Eule ran geht!"
  • „Sie alte perverse Drecksau!!!!! Schon bei dem Gedanken an sex mit Kindern muss das Hirn weglaufen !!!!! Ich glaube, das ist bei den Grünen auch so !!!!!"
  • „Sie wollte auch Mal die hellste Kerze sein, Pädodreck."
  • „Die alte hat doch einen Dachschaden die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch"
  • „Mensch … was bis Du Krank im Kopf!!!"
  • „Der würde in den Kopf geschi … War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist"
  • „Die ist Geisteskrank"
  • „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren"

Ein Sachbezug läge bei letzteren Aussagen durchweg vor, heißt es von den Richtern. Ausschlaggebend für den teilweisen Sinneswandel war für das Gericht nach eigener Aussage, dass es erstmals den vollständigen Facebook-Post vorgelegt bekam, der die Nutzer-Kommentare erst provoziert hatte.

Berliner Richter prüfen anders als das Bundesverfassungsgericht

Um auf Nummer sicher zu gehen, führen die Richter in diesem neuen Beschluss bei den sechs Aussagen mit Schmähkritik oder Formalbeleidigung (und der normalen Beleidigung) eine Abwägung durch.

Dies überrascht, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht in Fällen der Formalbeleidigung oder Schmähkritik keine Abwägung stattfindet.
 

Stellungnahme zum Künast Fall

Die meisten der 16 für zulässig befundenen Aussagen, könnten mit der gegenteiligen Argumentation  ebenfalls als unzulässig eingestuft werden. Entscheiden muss dies letztendlich aber das Kammergericht Berlin – die nächste Instanz.

Der Fall ist ein Paradebeispiel für die Grenzen der Juristerei. Viele Sachverhalte lassen sich durch eine juristische Subsumtion unter Ausblendung der restlichen Welt nicht lösen. Geht man dennoch so vor, erhält man skurrile Ergebnisse wie im vorliegenden Fall. Auch wir Juristen müssen uns darüber im klaren sein, dass die Welt komplex ist. Viel komplexer als irgendwelche juristischen Gesetzestexte. Die Welt ist Interdependent. Gesetze und Normen sollen dazu beitragen, dass ein friedliches Miteinander gewährleistet wird. Die Justiz kann hierbei einen wichtigen Teil beisteuern. Das funktioniert aber nur, wenn man die übergeordneten Ziele unserer Gesellschaft im Auge behält. Ein Friedvolles und respektvolles Miteinander gehört sicherlich dazu.

Es bleibt daher zu hoffen, dass die Richter den Fall über die juristische Lesebrille hinaus entscheiden und die Grundprinzipien unserer Gesellschaft dabei im Auge behalten werden. Letzten Endes geht es um ein friedliches Zusammenleben, das gewährleistet werden soll. Die Justiz sollte hier zu ihren Teil beitragen. Nicht mehr nicht weniger.

Ansprechpartner

Karsten Gulden
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht LL.M. und Mediator

Karsten Gulden ist Rechtsanwalt & Mediator; Mitgründer und Gesellschafter der Kanzlei gulden röttger rechtsanwälte, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht seit 2009, Wahlfachprüfer beim Justizministerium Mainz/Rheinland-Pfalz und Mitglied im NetzDG-Prüfausschuss der FSM.
Zudem ist er ein Familienmensch, der das Klettern, die Berge & das Campen liebt. Die meiste freie Zeit verbringt er mit der Familie & den Pferden in freier Natur.

[email protected]
+49-6131-240950

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Kommentare

Sehr geehrter Herr Gulden,

und jetzt bitte noch ein Kommentar zum Gercihtsurteil, dass es erlaubt, Bernd Höcke einen "Nazi" zu nennen. Ich gehe fix davon aus, dass Sie auf diesem Auge nicht blind sind.

Mit besten Grüßen,

Harald Lamprecht

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